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Michelle
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Anzahl der Antworten 36
zuletzt 19. Juli

Erfahrungen mit Clomicalm

Hallo zusammen! 🐾 Ich habe meine Tierschutzhündin Maya seit mittlerweile 3 Jahren und wir haben schon echt viel zusammen durchgemacht. Ich habe verschiedene Trainer mit den unterschiedlichsten Trainingsmethoden durch, habe sie gesundheitlich durchgecheckt und bin jetzt nach langem Überlegen mit meiner Trainerin bei einer Verhaltenstherapie begleitend mit SSRIs (spez. Clomicalm) gelandet. Maya ist sehr willensstark und unabhängig; sie reagiert sehr negativ auf andere Hunde und auch viele Menschen. In diesen Momenten scheint bei ihr wortwörtlich eine Leitung durchzuknallen und es gibt kein Durchdringen mehr. Sie geht in die Leine, knurrt, bellt und schnappt um sich herum (dabei hat sie auch schon ein paar Mal mich erwischt). Seit einer Weile ist daher der Maulkorb eine Pflicht. Ich würde mich sehr über Erfahrungsberichte bezüglich einer Therapie mit Clomicalm freuen - besonders, wenn eure Hunde vorher auch ein ähnliches Verhalten an den Tag gelegt haben (das ist aber kein Muss, berichtet mir gerne auch welche anderen Symptome der Grund für die Therapie waren, wie es gewirkt hat und welches Training euch begleitend empfohlen wurde) 😊 Kleines Extra: Wir haben gerade einen neuen Maulkorb bekommen, da ich ihr noch mehr Platz zum Hecheln lassen will. Wer sich auskennt darf mich gerne wissen lassen, ob der Maulkorb passt 😁
 
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Dogorama-Mitglied
17. Juli 12:19
An den Gedankengang musste ich mich auch erst gewöhnen, also verstehe ich komplett, dass du es etwas kritisch hinterfragst. Das ist auch gut so, denn wir reden hier ja nicht von absolut unbedenklichen pflanzlichen Supplements :) Man kann es sich etwa so vorstellen, wie bei Menschen mit Aggressionsproblemen. Die Art und Weise, wie es in die Welt getragen wird ist enorm selbstsicher und selbstbestimmt, aber wenn man tiefer gräbt sieht man auch da, dass die Verhaltensweisen auf tiefliegender Unsicherheit basieren. Also auch hier müssen Symptom und unterliegender Grund unterschieden werden
Hmmmm...

Der Vergleich überzeugt mich (noch?) nicht, weil in der Aussenwirkung/dem Image des Menschen ganz viel Reflexion/ Rationalisierung/ Abstrahierung drin steckt, die der Hund im der Form nicht leisten kann.

Natürlich gibt es bei Hunden Aggression aus Unsicherheit, die wirkt dann aber meiner Erfahrung nach nicht enorm selbstsicher und selbstbestimmt, sondern zB vertreibend/vermeidend oder panisch/kopflos verteidigend...?

Ich hinterfrage das Bor allem deshalb, weil auch Medikation keinen durchschlagenden Ergolg unterstützen kann, wenn die Ursache nicht recht klar wäre.
 
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Dogorama-Mitglied
17. Juli 12:23
Hey, danke für deine Antwort :) Ich habe mich, ähnlich wie ihr, auch ab einem gewissen Punkt selbst tiefer ins Hundetraining und die Psychologie eingelesen. Bei uns ist es nicht nur die „klassische“ Leinenaggressivität, sondern es breitet sich auf alle Bereiche aus, hier ist auch egal ob mit oder ohne Leine. Ich bin schon lange weg von der Auffassung, dass sie bei Begegnungen perfekt sitzen muss, oder Befehle befolgen. Unser Training basiert viel mehr auf der Kommunikation zwischen ihr und mir, also meine ich nicht das klassische Sitz-Platz-Training. Ich verstehe, dass es beim Lesen so rüber kommt 😅 Solange keine Begegnungen passieren muss ich sagen sind unsere Spaziergänge wirklich harmonisch mit einem guten Ausgleich aus Selbstbestimmung und Orientierung an mir. Daher kommen wir auch auf die Einschätzung „eine Leitung knallt durch“, weil sie von jetzt auf gleich unerreichbar wird und keine emotionale Regulation mehr stattfindet :(
Ich fände da ein paar Videos super spannend, um einfn bessen Eindruckvon der Dynamik zu bekommen.
Vielleicht hast du die Möglichkeit, dich von jemandem filmen zu lassen?
 
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Michelle
17. Juli 14:04
Hmmmm... Der Vergleich überzeugt mich (noch?) nicht, weil in der Aussenwirkung/dem Image des Menschen ganz viel Reflexion/ Rationalisierung/ Abstrahierung drin steckt, die der Hund im der Form nicht leisten kann. Natürlich gibt es bei Hunden Aggression aus Unsicherheit, die wirkt dann aber meiner Erfahrung nach nicht enorm selbstsicher und selbstbestimmt, sondern zB vertreibend/vermeidend oder panisch/kopflos verteidigend...? Ich hinterfrage das Bor allem deshalb, weil auch Medikation keinen durchschlagenden Ergolg unterstützen kann, wenn die Ursache nicht recht klar wäre.
Ja das verstehe ich, das Beispiel ist nicht perfekt, aber ich hatte gehofft damit das Konstrukt etwas besser erklären zu können. Ich kann dir gerne privat ein Video senden :)
 
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Julia 🐾Nero
17. Juli 14:42
Ich verstehe nicht, warum die Anwendung so eines Medikaments auf TRENNUNGSangst reduziert sein sollte. Wenn es beruhigend und angstlösend wirkt, dann ja wohl auch bei Erregungen und Ängsten aus anderer Ursache.
Ich sehe schon einen Unterschied zwischen der Behandlung einer Trennungsangst und Angstaggression draußen.

Beim alleine bleiben arbeitet man ja nicht aktiv mit dem Hund. Wenn er da medikamentös entspannter, aber teilnahmslos ist, stört das in der Regel nicht.

Anders ist es draußen und mit der Arbeit an Reizen. Zumindest wenn das Training auf Konzentration, Aufmerksamkeit, Engagement und Begeisterung basiert.

Ein von mir geschätzter Trainer arbeitet mit diversen Hunden mit massiven Verhaltensstörungen und die meisten Hunde kommen medikamentös eingestellt zu ihm (SSRIs).
Und seiner Aussage nach ist keine wirkliche Arbeit mit den Hunden möglich, bevor die Medikamente nicht ausgeschlichen sind.
Denn die Hunde sind schlecht zu motivieren, zu begeistern und zu animieren. Er setzt sehr viel auf strukturiertes Spiel und Bedürfnisbefriedigung.

Und wer selber SSRIs genommen hat weiß, dass man emotional flach und gleichgültig wird, auch wenn das nicht die Wirkung sein "soll".

Zudem würde ich an dieser Stelle erwähnen, dass NSRIs und SSRIs auch in der Humanmedizin mehr als umstritten sind und die Studienlage ziemlich eindeutig ist, dass sie nicht über den Placebo Effekt hinauswirken.
Die Nebenwirkungen sind aber sehr real. Brain fog, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Apathie, Teilnahmslosigkeit, Schwindel usw usw.
Und das Absetzen ist auch kein Spaß.
Daher finde ich es höchst riskant Tiere damit zu behandeln, denn die können einem ja nicht rückmelden, wie sie sich fühlen.

Aber die Entscheidung ist ja getroffen und der Hund eingestellt.
 
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Sil
18. Juli 10:56
Bist du nie auf die Idee gekommen, dass der Hund absichtlich so ist wie er ist!?
Würde sie noch in Rumänien leben wäre ihr Job Familienmitglieder freundlich zu begrüßen, aber jeden fremden Hund und Menschen zu melden und vom Grundstück zu jagen.
Das ist der Hauptjob der Hunde dort. Wenn noch ein Herdenschützer in der Ahnengalerie ist, dann wird sie selbstständig handeln und entscheiden.
Ständig fremde Menschen und Hunde treffen, das eigene Territorium verlassen (das muss nicht am Zaun enden), findet sie suboptimal.
Ich glaube ihr habt unterschiedliche Vorstellungen vom Leben !
 
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Dogorama-Mitglied
18. Juli 18:48
Ich sehe schon einen Unterschied zwischen der Behandlung einer Trennungsangst und Angstaggression draußen. Beim alleine bleiben arbeitet man ja nicht aktiv mit dem Hund. Wenn er da medikamentös entspannter, aber teilnahmslos ist, stört das in der Regel nicht. Anders ist es draußen und mit der Arbeit an Reizen. Zumindest wenn das Training auf Konzentration, Aufmerksamkeit, Engagement und Begeisterung basiert. Ein von mir geschätzter Trainer arbeitet mit diversen Hunden mit massiven Verhaltensstörungen und die meisten Hunde kommen medikamentös eingestellt zu ihm (SSRIs). Und seiner Aussage nach ist keine wirkliche Arbeit mit den Hunden möglich, bevor die Medikamente nicht ausgeschlichen sind. Denn die Hunde sind schlecht zu motivieren, zu begeistern und zu animieren. Er setzt sehr viel auf strukturiertes Spiel und Bedürfnisbefriedigung. Und wer selber SSRIs genommen hat weiß, dass man emotional flach und gleichgültig wird, auch wenn das nicht die Wirkung sein "soll". Zudem würde ich an dieser Stelle erwähnen, dass NSRIs und SSRIs auch in der Humanmedizin mehr als umstritten sind und die Studienlage ziemlich eindeutig ist, dass sie nicht über den Placebo Effekt hinauswirken. Die Nebenwirkungen sind aber sehr real. Brain fog, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Apathie, Teilnahmslosigkeit, Schwindel usw usw. Und das Absetzen ist auch kein Spaß. Daher finde ich es höchst riskant Tiere damit zu behandeln, denn die können einem ja nicht rückmelden, wie sie sich fühlen. Aber die Entscheidung ist ja getroffen und der Hund eingestellt.
Ob oder womit man medikamentieren soll, kann ich nicht beurteilen. Ich meinte nur, dass die Wirkung nicht auf Trennungsangst beschränkt, sondern auch bei anderen Ängsten vorhanden wäre.
 
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Kirsten
18. Juli 20:42
Clomicalm hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin UND Norepinephrin (Noradrenalin= u.a. Energiehaushalt). Ein erhöhter NE-Spiegel soll empfänglicher machen für das Training zur Verhaltensmodifikation.
Am Ende der zweimonatigen Studie konnte bei 65% der Clomicalmhunde eine Besserung verzeichnet werden. In der Placebogruppe waren es 55%. Beide Gruppen hatten eine Verhaltenstherapie mitgemacht.
Bei Clomicalm geht es wohl um Trennungsangst und andere Angstprobleme.

Prozac (Fluoxetin), wie von Ilona erwähnt, hemmt wohl die Wiederaufnahme von Serotonin spezifisch (also ausschließlich Serotonin und nicht NE) und wirkt stärker als Clomicalm. Da geht es wohl ehr um Aggressionsverhalten durch extreme Impulsivität oder schwerer (innerartliche) Aggression , Zwangsneurosen und extremer Unruhe.
 
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Kirsten
18. Juli 21:33
@Michelle ingesamt lesen sich deine Beiträge so, als hätte deine Maya starken Stress.

Unter solchen Stress ist Hund in der Regel nicht in einem Bereich, in dem er lernen kann. Dann hemmt das emotionale Zentrum (limbisches System) des Hundes den Bereich der Vernunft (Großhirnrinde).

Akuter Stress wirkt sich stark erregend auf den Teil des limbischen System (Amygdala) aus, der den Körper auf Notfallhandlungen vorbereitet. Die Amygdala hat einen sehr starken Anteil an dem Entstehen von Angst und Aggression => niedrige Reizschwelle & erhöhte/ explosionsartige Aggression, Wachsamkeit, Ungeduld,...
Sie spielt eine zentrale Rolle im emotionalen Lernen.

Kommt der Hund regelmäßig in Situationen in denen er übermäßig starke emotionale Reaktionen zeigt, wird er nicht gut lernen können. Das zeigt sich ganz besonders in den Bereichen Trennungsangst und Aggression.

Für meine Hündin übrigens auch starke Themen, die konnte die ersten Wochen/ Monate kaum ohne mich sein und ist selbst mit einer Betreuungsperson hilflos überfordert gewesen, weil ich nicht da war.

Aversive Reize wie die Wasserflasche oder Wurfschellen können ebenfalls starken Stress erzeugen und somit zum vorhandenen Problem obendrauf den Druck verschärfen. Stress der aversiv wahrgenommen wird, kann Flucht- oder Abwehrmechanismen und weitere Stressreaktionen auslösen. Ich sage das nicht um zu urteilen, du möchtest diesen Weg ja ohnehin nicht weitergehen, sondern um darauf aufmerksam zu machen, wie sich all diese Dinge sehr ungünstig im Problem aufsummieren.
 
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Julia 🐾Nero
18. Juli 23:55
Clomicalm hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin UND Norepinephrin (Noradrenalin= u.a. Energiehaushalt). Ein erhöhter NE-Spiegel soll empfänglicher machen für das Training zur Verhaltensmodifikation. Am Ende der zweimonatigen Studie konnte bei 65% der Clomicalmhunde eine Besserung verzeichnet werden. In der Placebogruppe waren es 55%. Beide Gruppen hatten eine Verhaltenstherapie mitgemacht. Bei Clomicalm geht es wohl um Trennungsangst und andere Angstprobleme. Prozac (Fluoxetin), wie von Ilona erwähnt, hemmt wohl die Wiederaufnahme von Serotonin spezifisch (also ausschließlich Serotonin und nicht NE) und wirkt stärker als Clomicalm. Da geht es wohl ehr um Aggressionsverhalten durch extreme Impulsivität oder schwerer (innerartliche) Aggression , Zwangsneurosen und extremer Unruhe.
In der von dir zitierten Studie gab es diese 10% Differenz bei Zerstörungsverhalten (was bei der Stichprobe ein Unterschied von 2 oder 3 Hunden ist), es gab keinen Unterschied beim Bellverhalten als Symptom der Trennungangst zwischen Clomicalm und Placebo Gruppe.

In dieser Studie https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10573193/ gab es hingegen gar keinen Unterschied zwischen Clomicalm Gruppe und Placebo. Wobei die Clomicalm Hunde grundsätzlich eine geringere/gehemmte Aktivität aufwiesen.

Geringere Aktivität erklärt vielleicht auch, wieso in der anderen Studie ein marginaler Anteil weniger zerstört hat, aber nicht weniger gebellt. Inaktivität ist nicht gleich Entspannung.

Es ist auch wichtig darauf hinzuweisen, dass alle diese Studien auf Halter Umfragen basieren und kleine Stichproben haben.
Es gibt keine eindeutige wissenschaftliche Evidenz für eine Wirkung von Clomicalm, aber für Placebo-by-proxy und Verhaltenstherapie!
 
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Anke
19. Juli 03:32
Naja, letztendlich kann man es drehen und wenden wie man will: die Basis einer solchen Behandlung ist immer (!) eine Verhaltenstherapie! Egal ob Hund oder Mensch, nur Tabletten sind sinnlos. Man hat ja auch nur ein kurzes Zeitfenster für die Medikationn zur Verfügung, deshalb ist es wichtig diese Zeit zu nutzen.
Kirsten R. Hat super erklärt, wie die Sache mit dem Stress funktioniert. Deshalb ist es super wichtig bei solchen Hunden über das vegetative Nervensystem zu arbeiten, um den Hund in überhaupt aus dem Dauererregungszustand runterzubekommen und
aufnahmefähig zu machen. Da sowohl Trainerin als auch Tierärztin drin sind, gehe ich mal davon aus, dass das der Weg sein wird?
Bei Coco hat das Clomicalm tatsächlich geholfen, um überhaupt ins Training gehen zu können. Vorher war es immer 1 Schritt vor und 3 zurück. Mit dem Clomicalm hatten wir einen konstanten Trainingsfortschritt. Aber auch da war es sehr ganzheitlich und umfassend: Stärkung des Selbstbewusstseins und der Selbstwirksamkeit, Körperarbeit, Physio, Entspannung in unterschiedlicher Form, usw.
Letztendlich geholfen hat sicherlich die Kombination aus allem. Zumal bis aufs Clomicalm ja alles mehr oder weniger intensiv weiterläuft sen Rest des Hundelebens. Solche Hunde sind ja oft auch auf anderen Ebenen stressanfälliger.