Also man muss sich auch immer mal fragen: WARUM zieht ein Hund überhaupt? Das hat mehrere Gründe, die gleichzeitig vorkommen können: wir Menschen sind ihm schlicht zu lahm, Hunde sind zielorientiert und wollen möglichst flott von A nach B zu C zu Z. Wir kommen da kaum mit. Dann hat ein junger Hund immensen Bewegungsdrang und Energie in sich. Und Kraft. Wenn er merkt, dass er mit Krafteinsatz zum Ziel kommt (also ziehen), wird er es wieder tun, weil er damit Erfolg hatte. Dann sind junge Hunde häufig sehr triebig und, gerade in der Pubertät, oder auch bei Reizüberflutung, wird gerne mal der Kopf ausgeschaltet und dem Trieb nachgegangen. Ein Kommando kommt dann kaum noch an im Hundekopf.
Hunde zum Fuß zu bewegen, bedeutet absolute Höchstleistungen zu verlangen vom Hund! Weil es wider ihrer Natur ist.
Dann ist es auch eine Frage der Bindung, der Beziehung und des Respekts. Lässt er sich diese Beschränkung überhaupt gefallen? Steht man als Mensch soweit oben, dass der Hund freiwillig anpasst und folgt? Er gar nicht auf die Idee kommt, vorzulaufen?
Das wäre das Optimum und dann bräuchte es auch keine Leine, aber das ist echt selten.
Also muß doch ne Mischung aus Erziehung, Regeln und Bindung & Respekt ausreichen.
Mit meinem sehr energetischen Labrador, 17 Monate, arbeite ich seit über einem Jahr an der Leinenführigkeit. Ich würde sagen, einzige Baustelle. Er kann Bei Fuß perfekt (inklusive stehenbleiben bzw sitzen wenn ich es tue, sogar rückwärts, links, rechts, alles. Er klebt am Knie und ist aufmerksam).
Aber draußen sind die Reize höher und es treibt ihn voran. Es ist in den letzten Wochen aber tatsächlich so gut geworden, dass man fast zufrieden sein könnte und viele wären es wahrscheinlich.
Ich habe alle möglichen Techniken und Methoden ausprobiert. Und dabei sicher auch Fehler gemacht. Man sollte die Leine als sanftes Kommunikationsmittel betrachten, das eher der Sicherheit dient, nicht als Kontrollmittel! Verwendet man die Leine als Druckmittel und aversiv (Leinenruck etc.) wird diese negativ verknüpft und tatsächlich als Begrenzung bzw Einschränkung verstanden. Ziehen ist dann auch ein "Wegwollen".
Stattdessen könnte die Leine wie ein Lenkrad sein oder noch schöner, wie die Stäbe eines Dirigenten.
Nach all den Versuchen und Methoden hat uns eigentlich nur Folgendes weitergebracht:
- Ruhe und Gehorsam beim Start. Ein hektischer Hund kommt nicht vor die Tür.
- Man selbst muß komplett ruhig und souverän sein. Und wenn man vorher Yoga oder Atemübungen machen muß, dann ist es eben so.
- Raumverwaltung findet auch zu Hause statt. Man muss den Hund schicken und holen können. Der Hund muß wissen, dass der Mensch die Entscheidungen trifft, und zwar ohne diskutieren (intelligente Hunde neigen stark zum hinterfragen)
- schon aus der Tür heraus bleibt der Hund hinter einem, erst recht auf der Treppe
- dann muss man sich für sich selbst überlegen und definieren: was ist Fuss? Muß der Hund wie ein Roboter am Knie kleben oder darf er die 2m Leine ausnutzen? Bei mir darf er an lockerer Leine seinen Radius nutzen (Gassi), situativ muss er aber korrekt neben mir laufen.
- um dem Hund gegenüber fair zu sein haben wir folgende Signale:
-- Fuss (neben mir), alternativ Schnalzen oder Doppeltipp auf den Oberschenkel (eigentlich Grundposition mit Sitz)
-- Zschtttt-Laut wenn er das Ende der Leine fast erreicht hat, BEVOR er reinknallt. Er soll die Chance haben, es richtig zu machen und nicht erst mit nem Ruck korrigiert werden müssen. Das finde ich sehr wichtig, denn so kann er sich selbst korrigieren und seine Position einnehmen
-- Wenn der Zschtttt-Laut nötig wird (Timing!) und er reagiert nicht drauf (besonders in der Trainingsphase), bleibe ich stehen, lasse die Leine lockere ohne Ruck und gehe langsam zurück, RÜCKWÄRTS (nicht umdrehen wie beim Richtungswechsel! Wichtig!) und lasse auch den Hund rückwärts gehen. Bis zu der Stelle, wo er seine Position verlassen hat. Also wie ein zurückspulen auf dem Video.
Richtungswechsel bringt meiner Meinung nicht viel, der Hund ist verwirrt und denkt womöglich, wir kennen den Weg nicht! ☺️ Es ist also eher wie ein Reset und ein zweiter oder dritter Versuch. Da Hunde nicht gerne rückwärts laufen, wirkt das umso mehr.
-- Bleibt der Hund hinter uns stehen, bekommt er ein Weiter, nachdem er angemessen geschnüffelt und gepullert hat
-- Warum ziehen Hunde nochmal? Sie wollen von A nach B. Das Ziel ist meist die nächste Schnüffelstelle. Meiner neigt dann dazu, aus dem perfekten Fuss nach vorne zu springen, um 1 Sekunde schneller an der Stelle zu sein. Das dulde ich nicht, er hat damit keinen Erfolg! Ganz wichtig. Wenn er zerrt passiert gar nichts ausser wieder Zschttt und Reset. Er kommt damit nicht zum Ziel. Stattdessen gehen wir an der Stelle vorbei! Er darf nicht hin, quasi disqualifiziert.
-- Aber: wenn er irgendwo hin möchte und NICHT zieht, darf er mit einer Freigabe "Okay".
Nach kurzer Zeit merkt der Hund also, dass es sich lohnt, nicht zu ziehen, um zu bekommen, was er möchte. Und der Hund merkt ebenfalls, dass wir seine Bedürfnisse respektieren. Das fördert die Bindung und er hat gar keinen Grund zu ziehen, weil er ja darf. Das mindert Frust.
-- Hält man das eisenhart durch, geht das recht flott in ein paar Wochen. Je nach Dickschädel des Hundes 😉
Dazu braucht man ne ordentliche Führleine, mit Flexi geht das nicht. Man muß außerdem 100%ig auf den Hund konzentriert sein, jede Bewegung und Tendenz sehen und proaktiv handeln. Man muß quasi vorausahnen, welcher Grashalm gleich interessant werden wird.
Irgendwann geht das in Fleisch und Blut über und es ist entspannter...
Probier mal aus. Vielleicht ist das was für euch...
Ich stimme Peter zu Aber eins möchte ich noch hinzufügen welches sehr wichtig ist finde ich 🙂. Nähmlich, dass leinenführigkeit schon ganz früh in der Aufzucht anfängt beim Züchter, wenn“ dieser seine Arbeit richtig macht und nicht nur auf Profit züchtet. Wenn ein Welpe von kleinauf nichts kennt wie er soll dann mit unserer Umwelt klarkommen? Ein Welpe der 24/7 in seinem welpenzimmer nur mit seinem wurfgeschwistern zu tun hat und irgendwo verängstigt in ner Ecke sitzt und hofft das Mama kommt wie soll er bitte sich auf die Außenwelt einstellen? Klar, ist das dann unsere Rolle. Aber der Standard ist das nicht.
Ein Welpe der es nie gelernt hat an der Leine zu laufen/ dran gewöhnt zu werden wird im neuen Zuhause erstmal protestieren. Ein grundgehorsam und Respekt bringt jeder Welpe aus einer vernünftigen Zucht mit denke ich wo auch alle Welpen Kontakt zu den Elterntieren haben und schon von klein auf Hundeerziehung von Mama und Papa bekommen. Wir Menschen können nicht die Elterntiere komplett ersetzen da wir ganz anders ticken und denken als unsere 4 Beinigen Fellnasen 😉. Dennoch ist es unsere Aufgabe den kleinen Schützlingen sie Umwelttauglich zu machen.
Nello ist zb zu uns mit 8 Wochen eingezogen und er kannte absolut gar nichts. Wir mussten bei ihm komplett von null anfangen. Was ziemlich anstrengend war. Und ich finde, dass es auch Charakter abhängig ist, ob dein pubertierender Junghund zu dir Blickkontakt hält oder ob er dich komplett ignoriert und den Tunnelblick drauf hat. Ich hatte meine Methode weiter unten geschrieben wie ich es bei Nello gemacht habe. Ein Welpe der vor dir als neuer Besitzer absolut keinen Respekt zeigt arbeitest du erstmal daran. Ein Hund der sehr charakterstark ist und einen sehr geringen will to please mit sich bringt wird dir schnell im Alltag den Mittelfinger 🖕 zeigen und sein Ding durchziehen wollen. Der Dickschädel wird meist angezüchtet bei Arbeitslinien, weil sie ja selbstständig arbeiten und denken sollen. Uns Menschen brauchen sie nicht unbedingt zum überleben da sie es ja gewohnt sind alleine zu arbeiten. Ein Miteinander sollte immer das Ziel sein welches sich man erstmal hart erarbeiten muss.
Nello wird nächsten Mittwoch 9 Monate alt. Und heute ist er Leinenführig. Es war ein langer Weg bis hierhin aber es lohnt sich. Immer, wenn Nello zu weit vorrauslief gab es verbal ein Hey“ und eine Korrektur in dem ich ihn am Brustkorb zurück in seine Position schob. Wenn er brav an lockerer Leine lief habe ich belohnt und Fuß eingeführt. In brenzlichen Situationen halte ich ihn kurz und da kann dann noch der größte und lauteste LKW dicht an uns vorbeifahren Nello bleibt ruhig und läuft neben mir im Fuß. Wenn’s zum Wald geht darf Nello gern auch vorlaufen aber nur, wenn er nicht zieht. Das Verhalten eines Hundes der ständig dir gegenüber protestiert und dir innerlich den Finger zeigt sollte man nie dulden, wenn man als HF voll wahrgenommen werden will.
Jeder Welpe, Junghund ist unterschiedlich. Da spielt Zucht, Charakter, will to please und Rasse ne Rolle, ob du es in der Erziehung leichter hast als manch andere Hundebesitzer oder ob du den schweren Weg vor dir hast so wie bei mir und Nello. Ich übe ganz viel Unterordnung mit Nello. Beim Rüden spielt im Pubertätalter auch das Ego mit ne Rolle, ob er die Alternative auch annehmen kann. Zumindest fällt es Nello schwer seinen inneren schweinehund zu überwinden aber auch das muss letztendlich ein Welpe/ Junghund lernen 🙃. Bei uns schaut Nello immer zu mir hoch und ich belohne das.
Alles bedarf Zeit und Geduld. Außerdem ist vieles austesten