Wie viel Stress ist "normal" für einen Rüden?
Hallo liebe Community,
Momentan beschäftige ich mich mit der Frage, was noch normales Rüdenverhalten ist und wie viel Stress evtl. eine Kastration rechtfertigen würde.
Viele Rüdenbesitzer diagnostizieren selbstständig für ihren triebgesteuerten Rüden im Laufe der Pubertät eine "Hypersexualität". Aber was ist wirklich hypersexuell und was ist einfach noch normal? Wie stark muss eine Hypersexualität ausgeprägt sein, damit eine Kastration gerechtfertigt ist?
Konkret zu unserem Fall, entschuldigt bitte den etwas längeren Text 😅 Balto hatte mit seinen Hormonen einen recht speziellen Verlauf. Er konnte keinen Kontakt zu anderen Hunden haben, bevor er ca. 6 Monate alt war. Dann haben die Hormone eingeschlagen wie eine Bombe. Er hat quasi nie gelernt, mit Hunden einfach nur zu spielen - für ihn gab es immer nur das Eine. ❤️😅
Auf Anraten des Trainers und TAs haben wir so gut es ging erzieherisch entgegengewirkt. Durchgehalten haben wir bis er 2,25 Jahre alt war. Nachdem er ewig nicht richtig gefressen hat, bedenklich abgenommen hatte, nur noch rum gejault hat und Kontakt mit Hunden nur noch mit Durchfall und Stress (Jaulen, Aufreiten) verbunden war, haben wir ihm im Februar 2023 einen 6-Monats Hormonchip setzen lassen.
Die ersten 6 Wochen waren die Hölle, aber dann wurde er entspannter. Er hat gefressen, kein ständiger Durchfall mehr. Draußen wurde er ansprechbar. Wir haben in dieser Zeit viel trainiert (das haben wir vorher auch, da hat es nur nichts gebracht 🙈) und sogar die BH bestanden. Er hat ein richtig gutes Sozialverhalten mit anderen Hunden aufgebaut. Er hat gelernt, einfach losgelassen zu spielen, da geht mir jedes Mal das Herz auf. Er kam mir so glücklich, ausgeglichen und unbeschwert vor, einfach nur lebenslustig.
Der Chip hat enorm lange gehalten, fast 10 Monate. Seit etwa 4 Wochen habe ich bemerkt, dass er ausläuft (Hoden wurden größer, er tropft wieder, öfter Durchfall, Verhalten komme ich gleich zu). Er frisst wieder sehr schlecht. Draußen ist er wieder enorm gestresst. Gut, Silvester hat da sicher auch sein Übliches zu getan. Aber die Tage davor war er ja auch schon so drauf.
Wenn wir Gassi gehen, hat er wo es geht Freilauf. Aktuell sieht das so aus, dass er wie ein Angestochener losrennt, von einer Pipi-Stelle zur Nächsten. Inhaliert, markiert drüber, rennt weiter. Wenn er sich zu weit entfernt, rufe ich ab. Er kommt zwar zuverlässig, aber fiept nebenbei. Er läuft auch ohne Leine bei Fuß, fiept aber auch dabei die ganze Zeit. Verlange ich ein Sitz, fiept er (und setzt sich dann gaaanz langsam hin). Leckerlis frisst er draußen nicht mehr. Ca. alle 200m setzt er Durchfall an den Wegrand.
Mit seiner besten Freundin spielt er kaum noch. Er hüpft fiepend um sie herum, leckt sie am Genital, markiert die ganze Gegend, spielt für 30 Sekunden mit ihr und versucht dann aus dem Spiel heraus aufzureiten. Man kann es zwar gleich unterbinden, das war früher nicht so, aber ein wirklich schönes Spiel kommt dabei nicht zustande. Besagte Freundin ist intakt, aber nicht läufig, nicht mal annähernd. Mit kastrierten Hündinnen das selbe Spiel. Es ist geradezu so, als ob er die Nähe einer Hündin nicht aushält, solange er nicht drauf darf. Dann hüpft er wieder fiepend um den Hund rum und geht dann fiepend auf Abstand. Einfach nur Spielen Fehlanzeige.
Ich bin an einem Punkt, wo ich mich frage, ob ich ihm damit einen Gefallen tue, wenn ich ihn weiterhin unkastriert lasse. Eigentlich bin ich strikt dagegen, ohne medizinische Indikation zu kastrieren. Aber so langsam frage ich mich, ob dieser Stress nicht so sehr seine Lebensqualität beeinträchtigt, dass man das durchaus dazu zählen kann.
Erzieherisch habe ich keine Probleme mit ihm. Immerhin lässt er sich abrufen, lässt sein Lecken und Aufreiten von mir Abbrechen, das letzte Jahr Training hat sich wirklich ausgezahlt. Er fiept dann halt laufend dabei 🙈 Hundekontakte könnte ich aufgrund des enormen Stresses einstampfen, er wäre auch ohne genügend ausgelastet. Fragt sich halt, ob das noch artgerecht wäre. Aber wie ihr seht, es geht mir nicht darum, ihn irgendwie leichter lenkbar oder erziehbar zu machen, sondern rein um sein Wohlbefinden.
Wer bis hierhin durchgehalten und den ganzen Text gelesen hat, schonmal vorab vielen Dank. Ich wäre dankbar für eure Sichtweisen, wie viel Stress ist noch normal und ab wann wird es ungesund? Ich hoffe es entsteht ein konstruktiver Meinungsaustausch ohne Anfeindungen 🙏, der vielleicht auch anderen Rüdenbesitzern hilfreich sein kann.