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Dogorama-Mitglied
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heute 14:18

"Wege zur Freundschaft" (Ulli Reichmann)

Hallo ihr Lieben :) Ich habe kürzlich o.g. Buch verschlungen und gleich begeistert mit dem dort aufgeführten Training begonnen. Für alle, die es nicht kennen: Es geht darum gemeinsam mit seinem Hund die Welt zu entdecken und Spuren zu suchen etc.. Quasi ein Leitfaden, wie man dem Hund zeigt nicht mehr alleine jagen zu gehen, sondern voller Freude zu kooperieren. Ich bin nun unendlich begeistert, weil erste (auch unerwartete) Erfolge schon in wenigen Tagen sichtbar wurden und wollte nun mal fragen, ob noch jemand inspiriert von diesen Methoden mit seinem Hund die Welt erkundet? Würde mich über einen Erfahrungsaustausch unheimlich freuen! Liebe Grüße
 
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Dogorama-Mitglied
21. Mai 00:12
Ich vergleiche den Umgang mit Hunden sehr oft mit dem Umgang mit Kindern. Und komme unweigerlich an den Punkt, wo ich mich frage, ob es tatsächlich einen Unterschied geben muss. Kinder werden idealerweise auf ein selbständiges Leben vorbereitet. Irgendwann sagt man ihnen nicht mehr "Stopp!" an der Bordsteinkante. Man muss jede Art der Kontrolle irgendwann aufgeben. Hat man seinen Job gut gemacht, kommen sie klar. Muss das bei Hunden wirklich anders sein? Wieso vertrauen wir unseren Hunden so wenig, wieso trauen wir ihnen nicht zu, ohne unsere Kontrolle klar zu kommen?
Weil man ihnen keine komplexen, abstrakten Zusammenhänge und Folgen ihres Handelns erklären kann.

Soll ich es riskieren, meinen Hund ohne Kontrolle ins Fahrrad oder Auto rennen zu lassen, weil er nicht versteht, dass es Verletzte oder gar Tote gibt, wenn er mit denen kollidiert?
Und nein, er weicht nicht verlässlich von selbst aus, er würde auch Menschen mitten vor die Füße laufen, wenn man nicht aufpasst.
 
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Dogorama-Mitglied
21. Mai 00:14
Genau da liegt oft das Problem: Vertrauen. Ich denke, dass ein großes Thema die Reaktionszeit ist. Hund spitzt die Ohren und ist weg. Da können wir Menschen nicht mithalten. Ich selber habe da hart an mir arbeiten müssen.
All die Situationen, in denen Guinness hinter irgendwas hergehetzt war, hatte ich vertraut, dass er das nicht macht.
Ja von wegen...
 
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SandrA
21. Mai 05:59
Das Argument „Dann darf der Hund ja jahrelang nicht in den Freilauf“ und „Dann ist er ja alt und grau, bevor er was darf“ kann ich nachvollziehen. Man hat das Bild vom perfekt rückrufbaren Hund vor Augen, dem man endlich Leine geben kann, und dann kommt jemand daher und redet von Entwicklung, von Beziehung, von Verstehen. Klingt erstmal wie ein viel zu langer Weg zur nächsten Wiese. Und mit Neo war das für mich anfangs auch eher befremdlich und sperrig.

Aber wie schon gesagt, es geht nicht um ein Entweder-oder. Niemand muss auf den kooperativen Weg verzichten, nur weil es im Alltag auch ein funktionales „Stopp“ braucht. Und umgekehrt: Ein blind befolgtes Sitz ist kein Beweis für ein tragfähiges Miteinander. Für Neo bedeutet Freilauf nicht Belohnung für „richtiges“ Verhalten, sondern ein gemeinsamer Aushandlungsraum mit Schutzbedürfnissen beiderseits.

Ja, er darf nicht überall sofort frei laufen. Aber das liegt nicht an einem fehlenden Kommandoarsenal, sondern daran, dass ich erkennen muss, was er gerade braucht, um verlässlich und ansprechbar zu bleiben. Manchmal braucht es ein Signal von mir. Oft aber sind es Hinweise von ihm, die ich lesen lernen musste. So wächst Vertrauen und seine Fähigkeit, Dinge ohne mein Eingreifen zu regulieren. Freilaufsequenzen erhalten eine andere Qualität und Bedeutung - sie sind kein „Muss“ sondern ein „an dieser Stelle sind wir soweit“ - an anderen eben (noch) nicht.

Natürlich brauchen wir etwas, worauf wir uns verlassen können – aber das kann genauso eine eingespielte Handbewegung sein wie ein lautes „Ey!“ oder eben ein „Stopp“. Die Frage ist nur: Wie ist das entstanden? Aus Beziehung? Oder aus Drill?

Für mich heißt das nicht, dass es keine Signale mehr gibt, aber, jedes Signal steht auf dem Prüfstand. Ich will Neo nicht kontrollieren. Ich will ihn begleiten. Und wenn ich ihn in eine sichere Situation bringe, die er selbst tragen kann, dann darf er frei sein. Nicht erst in zwei, drei oder fünf Jahren, aber immer dann, wenn es wirklich passt.
 
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Dogorama-Mitglied
21. Mai 06:47
Jeder Freilauf ist mit einem gewiß Restrisiko behaftet und es ist an mir, das einzuschätzen und umso aufmerksamer zu sein, wenn es etwas höher ist.

Wenn Guinness in den Gassen frei läuft, dann an Stelken und zu Zeiten, wo wenig Betrieb ist und ich sehe, dass er aufmerksam ist und von selbst immer wieder nach mir guckt und zurück kommt.
Sehe ich mögliche Trigger zum abdüsen oder merke er wird aufgeregt, kommt die Leine wieder ran.
 
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Katja
21. Mai 08:18
All die Situationen, in denen Guinness hinter irgendwas hergehetzt war, hatte ich vertraut, dass er das nicht macht. Ja von wegen...
Wahrscheinlich hätte ich da bei ner Aussi-Dynamik auch so meine Schwierigkeiten!

Polli ist zwar auch Hütehund, aber auch durch das Strassenleben eine sehr Vorsichtige… da hab ich den Luxus, dass ich jede Menge Zeit zum Reagieren habe.
Ein Glücksfall und nicht unbedingt normal… das macht ich mir jeden Tag wieder bewusst!😀
 
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Katja
21. Mai 08:21
Ohne jetzt diese Diskussion wieder anzuzetteln: wir gefährden hier in der Stadt nichts und niemanden (auch nicht aus der Ferne!) und alles andere soll man bitte mir überlassen…
 
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Vic
21. Mai 08:59
Ohne jetzt diese Diskussion wieder anzuzetteln: wir gefährden hier in der Stadt nichts und niemanden (auch nicht aus der Ferne!) und alles andere soll man bitte mir überlassen…
Grundsätzlich gilt in Berlin Leinenpflicht und so wie du es beschreibst und anderen Ratschläge gibst, empfinde auch ich es als gefährlich bis fahrlässig.
Es gibt keine Garantie, dass dein Hund niemals getriggert wird.
Joe Cool beschreibt ihren Umgang mit dem Hund im Stadtleben deutlich anders und verantwortungsbewusster, weil sie sich eben dieser gegenwärtigen Gefahr bewusst ist.
Es sind und bleiben Tiere und es besteht immer ein - mal mehr oder weniger großes - Restrisiko.

Wenn dein Hund mal auf dem Feld einem Hasen hinterher jagt aber ihn bestenfalls nicht erwischt weil du zu viel Vertrauen in ihn gesetzt hast oder Grenzen testen wolltest, ist das vielleicht auch blöd aber verschmerzbar.
Passiert selbiges mitten in der Stadt wegen einer Katze, sieht die Welt mitunter aber ganz anders aus.
 
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Kirsten
21. Mai 09:11
Die Leine erleichtert in meinen Augen vieles unbedarfter auszuprobieren, weil man selber nicht den Druck hat direkt eingreifen zu müssen. Man kann ausprobieren, wie es läuft, und wenn’s nicht klappt, eben neue Schlüsse draus ziehen. Vertrauen eben so erlernen, das nicht alles direkt schiefgeht, wenn man doch noch nicht eingespielt ist.

Hier läuft vieles (auch und vor allem von meiner Seite) noch nicht ganz so gut, dass wir die Dinge, die wir tun, auch ohne Notnagel schaffen. Ich lerne so viel dazu. Im Video sieht man zum Beispiel, dass mein Lob schnell aufgeregter wird und das pusht Mira, was dazu führen kann, dass ich sie zum Wild schiebe. Wird besser aber klappt noch nicht immer.

Die selbe Situation ohne Leine hätte ich noch nicht ohne Nervenflattern geschafft, sondern hätte durchgehend Kopfkino, dass Mira doch zu den Kaninchen losläuft.
Bis das geht, bleiben unsere Stützräder dran ☺️
 
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Sonja
21. Mai 09:44
Weil man ihnen keine komplexen, abstrakten Zusammenhänge und Folgen ihres Handelns erklären kann. Soll ich es riskieren, meinen Hund ohne Kontrolle ins Fahrrad oder Auto rennen zu lassen, weil er nicht versteht, dass es Verletzte oder gar Tote gibt, wenn er mit denen kollidiert? Und nein, er weicht nicht verlässlich von selbst aus, er würde auch Menschen mitten vor die Füße laufen, wenn man nicht aufpasst.
Er muss nicht die Folgen kennen, er kann aber lernen, Fahrrädern, Autos oder Menschen grundsätzlich auszuweichen, oder zu Dir zu kommen. Der Punkt ist, dass es dann seine eigene Entscheidung oder Stratege ist, und nicht abhängig von einem Kommando von Dir.
Und Du hast ja schon geschrieben, dass er Manches bereits verinnerlicht hat, genau um solche Dinge geht es.
Wir sind uns auch absolut einig, dass er auf dem Weg dort hin Kommandos braucht, die natürlich auch durchgesetzt (befolgt) werden müssen.
Ulli schreibt in ihrem Buch auch von einem schwierigen Weg, mit Rückschlägen, es geht nicht "Schnipp" - ich wende die Ulli-Philosophie an - alles läut super.

Es ist halt keine Methode, sondern eine Philosophie. So, wie man sich grundsätzlich für positive Trainingsmethoden entscheiden kann, kann man sich auch grundsätzlich für den Umgang mit den Hund als gleichwertiger Team-Partner entscheiden.

Du willst Kommandos in bestimmten Situationen befolgt wissen, aus nachvollziehbaren Gründen. Aber die Grundhaltung dahinter ist hierarchisches Denken.
Die Teamvariante sieht Dich als jemand, der immer gute Entscheidungen für das Team trifft, und dem der Hund deshalb folgt.

Und Ulli zeigt uns einen Weg, unseren Hund mit seinem Bedürfnis zu jagen ernstzunehmen, wahrzunehmen, zu unterstützen, anstatt gegen das Jagen und damit gegen den Hund anzukämpfen.
 
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Sonja
21. Mai 09:54
All die Situationen, in denen Guinness hinter irgendwas hergehetzt war, hatte ich vertraut, dass er das nicht macht. Ja von wegen...
Diese Situationen kennen wohl alle Halter, die sich trauen, dem Hund Freilauf zu gestatten. Aber sei mal ehrlich. Lag es daran, dass Guinness nicht vertrauenswürdig war? Oder lag es daran, dass Du eine Situation falsch eingeschätzt hast, nicht innerlich bei / mit ihm warst, ihm noch nicht beigebracht hast, was er alternativ tun soll?