Toller Thread. Auch wenn ich es leider nicht geschafft habe, meine Punkte griffig zu formulieren, ist ein bisschen länger geworden und absolut nicht vollständig. Stress ist mE. das wichtigste Thema im Hundekontext.
Eine Toolbox ist klasse, allerdings durch die riesige Individualität der Hunde bitte keinesfalls als „Breitbandantibiotikum“ zu verstehen.
Um auf Stress richtig eingehen zu können, müssen erst die Stresskennzeichner erkannt und bewertet werden. Leider sind sogar die Stressindikatoren individuell, Pepe hechelt zB. explizit NICHT, wenn er gestresst ist. Und wenn man die Signale seines Hundes kennengelernt hat, sollte man sie gewichten und sich für den Hund eine Ampel (mit möglichst differenzierten Zwischenstufen) aufbauen (evtl. auch nach dem tollen Buch von Birgit Laser, das Sandra schon empfohlen hat …)
Dunkelgrün ist bei Pepe (leider) schon die Leckerliverweigerung (deshalb kann ich die ganzen Leckerlitools für Pepe vergessen), bei gelb läuft er in meiner Nähe, aber exploriert nicht mehr so viel, sondern schaut vornehmlich nach vorn (teilweise mit lustigem Schräglauf um besser um die Kurve schauen zu können). Rot kein Interesse mehr an irgendwas sondern nur noch ganz vorne an der Schlepp, rennen wollend oder alternativ Fullstop mit Totalverweigerung. Das mal als grobes Beispiel, es gibt natürlich noch etliche andere Zwischenstufen (bei Pepe ist zB. die Rute fast ein analoges Stresszeigerinstrument aber auch das Gangbild/Kopfhaltung etc.).
Aus dem Leitsatz „Stress ist eine fehlende Strategie“, sollten sich dann die Stressminderungs/Vermeidungs- maßnahmen ableiten. Auch das natürlich wieder blöd verkomplizierend individuell. Dazu wieder den Hund beobachten und dort abholen wo er steht, metaphorisch ausgedrückt. Dh. schaue was der Hund selbst für eine Strategie anbietet/entwickelt hat. Wenn sie passt, ist es das allerbeste und ein Jackpot (den leider viele HundehalterInnen gar nicht als solchen wahrnehmen, weil sie es für selbstverständlich halten). Also zB. ein Hund hat Stress und kommt dann eng zu dir um Sicherheit von dir zu bekommen (die du ihm hoffentlich dann auch nicht verwehrst). Eine großartige Strategie für beide Seiten der Leine. Manche Pauschaltrainer raten deshalb getresste Hunde immer eng zu sich zu nehmen. Nur leider stresst das einige Hunde aber nur noch mehr, weil sie das Gefühl einer Selbstwirksamkeit brauchen. Äh, bei dem Thema komme ich nicht zum Punkt… Also schauen, ist dein Hund der Typ, der Nähe bei Stress sucht, dann das evtl. unterstützen oder ist er der Typ der Freiraum braucht um sich runterregeln zu können oder gar beides kontextabhängig. Pepe lasse ich zB. ans Ende der Schlepp laufen und jogge bei Bedarf mit, aber oft hat er sich schon selbst runterreguliert bevor er am Ende der Schlepp ist.
Bei Willy (dem Hund meiner Tochter) ist es so, wenn ich sehe, dass er kurz vorm Überdrehen ist, bitte ich ihn freundlich (auch so ein Punkt, bei diesem Hund ist es extrem wichtig freundlich und ruhig zu bleiben), dann nehme ich die Schlepp kurz und wir laufen ein Stück nahe zusammen und man merkt richtig an der Körperspannung wie er wieder runterfährt.
Also die Strategie ist bei Pepe genau umgekehrt wie bei Willy. Dass Bewegung für Pepe psychologisch wichtig ist, habe ich ua. an seiner „Gartenstrategie“ erkannt. So schön ein Hanggrundstück ist, es ist enorm laut, weil aller Lärm aus dem Tal hochschallt und Pepe eine starke Geräuschangst hat. Alle bodentiefen Fenster und Türen zum Garten hin waren geöffnet und Pepe konnte jederzeit raus (aber bis zu dem Zeitpunkt ist er niemals freiwillig rausgegangen). Ich war irgendwo im Garten. Plötzlich kam er dann angeschossen und raste wie wild hin und her. Ich Naivling: „oh super, jetzt hat er endlich seine Gartenangst überwunden“. Aber es war nur seine Strategie mit seiner Angst umzugehen. Sobald er nicht mehr rannte, hatte er sich sofort an seine Angst erinnert und ist gleich wieder ins Haus.
Und wenn ich merke, dass Pepe ins Stocken gerät, gehe ich schneller, bzw. jogge ich konklusiv.
Wenn er trotzdem einen Vollstopp reinhaut, weil ich gepennt habe oder der Stress zu extrem ist, habe ich eine Methode entwickelt, die etwas verrückt und zum oben geschriebenen eigentlich paradox ist, aber bei ihm auch sehr gut hilft. Ich hocke mich vor ihn, lege meine Stirn auf seine (da kann er nämlich plötzlich wieder extreme Nähe und Bedrängung gerne haben, als wenn es nicht schon komplex genug wäre) dabei kraule ich seine wunderbaren Ohrenansätze und flüstere, dass er mein Großer ist (lacht nicht! *lach), dann streiche ich langsam und fest die Vorderbeine hinunter und danach vom Rücken die Hinterbeine hinunter, bringe mich in die Aufrechte und sage sanft und auffordernd: „Na komm mein Großer“ und was soll ich sagen, in den allermeisten Fällen kommt er dann mit, als wenn nichts gewesen wäre (nun könntet ihr vermuten, dass der gleiche Effekt einträte, wenn man ihn einfach beobachten ließe und dann weiter ginge, aber das hatte ich natürlich zuerst ohne Erfolg probiert).
Das Wort Großer ist übrigens verknüpft mit dem Markieren, immer wenn er markiert, lobe ich ihn und sage: „Großer“ (historisch bedingt, weil er sich am Anfang überhaupt nicht getraut hat zu lösen und bin dann später auf die Idee gekommen, dass die Verknüpfung gar nicht so schlecht ist und nun praktiziere ich das sogar auch bei Willy und der scharrt (auch Stressabbau) dann immer ganz stolz wie verrückt.
Aprops Willy, der hat großen Stress bei Hundebegegnungen. Ich gehe dann ganz an den Wegrand und nach Möglichkeit noch einen Meter runter vom Weg, hocke mich zu ihm und halte ihn locker am Geschirr (aber so, dass ich bereit für den Fall der Fälle bin und ihn sicher habe). Zuerst habe ich über meinen Körper das Fixieren nicht ermöglicht, aber später festgestellt, dass es besser ist, wenn er die Sicht nicht versperrt bekommt. Dazu spreche ich mit ihm, sage mit einer Betonung, dass es keine Aufforderung ist, sondern wie ein Lob klingt: „schau“, obwohl ich weiß, dass er nicht in der Lage ist, das in dem Moment zu befolgen, aber man sieht an seinen Ohren und der Körperspannung dass es hilft und er es registriert hat. So können wir nahezu alle Hundebegegnungen meistern ohne Gepöbel und übermäßigen Stress.
Noch „kurz“ zum Thema Bögen, weil ich das so faszinierend fand. Pepe hat über die Jahre ein Gottvertrauen in mich entwickelt was Hundebegegnungen anbelangt. Am Anfang hatte er extreme Angst und ist immer gleich ins Freeze rein. Mittlerweile passiert er ganz locker und zeigt bei Ausgewählten sogar auch Interesse. Letztens mussten wir zwischen einem Vater mit Kinderwagen und einem Ridgeback, der pöbelnd auf zwei Beinen stand und der Halter gerade noch so „Halter“ war, hindurch. Kurz hatte ich dann einen Schreck bekommen, weil Pepe den Vater mit Kinderwagen gruselig fand und deshalb einen Bogen Richtung Ridgeback ausprägen wollte, den er keines Blickes würdigte! Das als Vorgeschichte, um zu verdeutlichen, dass Pepe keine Angst mehr vor Hunden hat und Bögen nicht braucht, egal wie sie sich gebärden.
Vor ein paar Tagen kam uns ein Mann mit einem Terrier entgegen mit den typischen Reaktionen, man konnte förmlich sehen, wie der Halter in den Alarmmodus wechselte, zurück zu seinem Hund lief, ihn festmachte und der Hund auch gleich in Stimmung war (aber noch nicht gepöbelt hat). Pepe hat das gesehen und ist ganz lässig und ruhig einen Bogen über die Wiese gelaufen und vorbei. Dieser Köter ist so sozial, das hat mich ganz emotional gemacht und mir ganz deutlich gezeigt wie sinnvoll Bögen sind und dass sie nicht eine unnatürliche Menschenerfindung sind, sondern zur Hundekommunikation und zur gegenseitigen Unterstützung der Hunde dazu gehören können.
Oje oje ich könnte zum Thema Stress noch Stunden weiter schreiben und habe lange noch nicht alles erzählt, von meinen drei anderen Hunden ganz zu schweigen.
Für mich gibt es aber als Fazit eigentlich nur zwei Tools:
1) Lerne genau deinen individuellen Hund kennen
2) Sei kreativ und adaptiere die Tools oder verwende sie gar nicht, wenn sie nicht passen und erfinde dafür neue.