Da bin ich etwas anderer Meinung.
Die Beobachtung aus der Dominanztheorie wurde nicht widerlegt, sondern die Übertragung auf Wolfsrudel.
Wenn man nicht verwandte Wölfe in ein Gehege steckt, werden sie versuchen durch Dominanz eine Hierarchie zu schaffen.
Man hat fälschlicherweise angenommen, dass sei in Rudeln ebenfalls so.
Nun ist ein Rudel ein Familienverband und die Leitposition haben die Elterntiere. Fremde Tiere werden angegriffen, verjagt oder sogar getötet. Ein Anschluss ist wohl möglich und wurde beobachtet, ist aber ein vorsichtiges und langwieriger Prozess. Aber auch im Rudel verlassen einige junge Wölfe mit etwa drei Jahren das Rudel, um ein eigenes zu gründen.
ABER schmeißt man fremde Wölfe zusammen, werden sie immer über Stärke und Dominanz versuchen eine Hierarchie zu schaffen, weil sie dazu gezwungen sind.
Das gleiche stellt man mehr oder weniger auf Hundewiesen nach. Man schmeißt fremde Hunde zusammen ohne Möglichkeit sich aus dem Weg zu gehen oder zu flüchten.
Hunde mit hoher sozialer Motivation werden versuchen über Dominanz eine kurzfristige soziale Überlegenheit zu erlangen. Oft geht das gut, weil die anderen sich einfach fügen (dazu muss es keine Konfrontation geben, vieles passiert über Körpersprache und Raumanspruch und das bekommen wir Menschen oft nicht mal mit) und wenn zwei Tiere mit hoher sozialer Motivation aufeinandertreffen, die beide auf die soziale Überlegenheit bestehen, kommt es zu den unschönen Vorfällen. Diese Hunde kommen aber in der Regel kein zweites Mal auf die Hundewiese... Außer der Besitzer ist ein Trottel und sammelt als Hobby Anzeigen.
Hunde in der freien Wildbahn vermeiden Konflikte, in dem sie anderen Hunden aus dem Weg gehen. Zwei fremde Rüden gleichen Alters würden nie auf einem Gehweg an aneinander vorbeigehen. Straßenhunde leben oft in losen Gruppen und Individuen unterschiedlicher Gruppen meiden sich in der Regel.
An der Leine kann ein Rüde einem anderen nicht aus dem Weg gehen, er wird in diese für ihn unnatürliche und unangenehme Situation gezwungen und viele reagieren ohne entsprechendes Training. Entweder durch Aggression zur Abschreckung oder durch maßloses flirten/fiddeln, was dann als freundliches Interesse ("der will unbedingt hin") und spielen fehlinterpretiert wird.
Die Aversion gegen fremde, vor allem gleichgeschlechtliche Artgenossen ist der natürliche und normale Zustand.
Durch Desensibilierung und Training kann man dieser natürlichen Aversion entgegenwirken. Je souveräner und selbstbewusster ein Hund ist, umso leichter fällt es ihm in der Regel auch. Es gibt höchst "unsoziale und dominante" Rüden, die sich in Anwesenheit anderer Rüden tadellos benehmen, weil sie einen soliden Grundgehorsam aufweisen (und sie wissen, dass Frauchen oder Herrchen nicht möchte, dass sie pöbeln oder sich anderweitig schlecht benehmen) und selbstbewusst sind. Und natürlich gibt es Rassen oder auch Individuen, die einfach nicht großartig sozial motiviert sind.
Ich kann einige deiner Punkte nachvollziehen, insbesondere was die unnatürlichen Bedingungen auf Hundewiesen und das Zusammenwerfen fremder Hunde angeht. Diese Umstände schaffen oft Spannungen, weil die Hunde nicht die Möglichkeit haben, sich aus dem Weg zu gehen oder auf natürliche Weise Konflikte zu vermeiden, wie sie es in freier Wildbahn tun würden.
Dass unterschiedliche Meinungen bestehen, ist ja völlig normal. Möglicherweise beziehen wir uns auch auf verschiedene wissenschaftliche Quellen. Welche Quellen nutzt du denn?
Hier meine Quellen:
Dominanztheorie und ihre Widerlegung:
Mech, L. D., & Boitani, L. (eds.). (2003). Wolves: Behavior, Ecology, and Conservation. University of Chicago Press.
Bradshaw, J. W. S., Blackwell, E. J., & Casey, R. A. (2009). Dominance in domestic dogs—useful construct or bad habit? Journal of Veterinary Behavior.
Die Dominanztheorie in ihrer ursprünglichen Form wurde tatsächlich widerlegt, insbesondere in Bezug auf Wolfsrudel und die Übertragung auf Haushunde. Die Beobachtung, dass fremde Wölfe in Gefangenschaft durch Dominanz eine Hierarchie festlegen, mag in einem künstlichen Setting wie einem Gehege zutreffen, ist jedoch nicht repräsentativ für das natürliche Verhalten von Wölfen in einem Rudel. In natürlichen Wolfsrudeln, die aus Familienverbänden bestehen, gibt es klare soziale Strukturen, bei denen Aggressionen oder Dominanzkämpfe selten vorkommen, da Kooperation und familiäre Bindungen im Vordergrund stehen (Mech & Boitani, 2003). Diese veralteten Dominanzmodelle sind nicht ohne weiteres auf Hunde übertragbar. Hunde, wie auch Wölfe, agieren kooperativer und nutzen nicht ständig Dominanzkämpfe zur Hierarchieetablierung (Bradshaw et al., 2009).
Hundewiesen als unnatürliches Umfeld:
Haug, L. I. (2008). Canine aggression toward unfamiliar people and dogs. Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice, 38(5), 1023-1041.
Ähnlich verhält es sich bei Hunden. Hundewiesen schaffen eine unnatürliche Umgebung, in der Konflikte entstehen können, da die Hunde gezwungen sind, auf engem Raum miteinander zu interagieren, ohne die Möglichkeit zu haben, sich zurückzuziehen. Diese Aggressionen entstehen jedoch oft nicht aufgrund von Dominanzstreben, sondern aus Unsicherheit, Stress oder Überforderung (Haug, 2008). Hunde nutzen normalerweise subtile Kommunikationsmittel wie Körpersprache und Raumanspruch, um Konflikte zu vermeiden, und Aggressionen entstehen in der Regel, wenn diese Signale ignoriert werden oder der Hund keine Möglichkeit hat, der Situation zu entkommen.
Natürliche Aversion gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenossen:
Bonanni, R., Cafazzo, S., Valsecchi, P., & Natoli, E. (2010). Free-ranging dogs assess the quantity of opponents in intergroup conflicts. Animal Cognition, 13(1), 109-122.
Coppinger, R., & Coppinger, L. (2001). Dogs: A New Understanding of Canine Origin, Behavior and Evolution. University of Chicago Press.
Farhoody, P., Mallawaarachchi, I., Tarwater, P. M., & Serpell, J. A. (2018). Aggression toward Familiar People, Strangers, and Conspecifics in Gonadectomized and Intact Dogs. Frontiers in Veterinary Science, 5, 18.
Dass Hunde eine „natürliche Aversion“ gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenossen haben, ist wissenschaftlich nur bedingt zutreffend. Studien zu freilaufenden Hunden, wie die von Bonanni et al. (2010), zeigen, dass Konflikte zwischen Hunden eher selten sind und dass sie in der Regel vermieden werden, indem die Tiere sich sozial distanzieren oder durch subtile Kommunikation Spannungen abbauen. Dies steht im Gegensatz zu künstlichen, engen Umgebungen wie Hundewiesen oder an der Leine, wo Hunde nicht die Möglichkeit haben, solchen Situationen zu entkommen. In der freien Wildbahn würden Straßenhunde oder Wölfe Konflikte durch Ausweichen und Distanz lösen (Coppinger & Coppinger, 2001). Auch neuere Studien, wie die von Farhoody et al. (2018), zeigen, dass gleichgeschlechtliche Aggression oft auf sozialen Stress, Unsicherheit oder negative Erfahrungen zurückzuführen ist, nicht auf eine angeborene „Aversion“. Aggressionen, die wir häufig beobachten, sind also eher das Ergebnis von unnatürlichen Umständen, in die wir unsere Hunde bringen, und nicht von einem natürlichen Instinkt.