Als ich meinen Hund bekommen habe, war er ein Problemhund, in den falschen Händen gefährlich und auch nicht mehr weit davon entfernt im Zwinger zu landen. Meinen Hund habe ich mit Maulkorb kennengelernt. Heute ist er ein ganz normaler Hund mit ganz normalen Eigenschaften. Dafür brauche ich keine Schulung, Klicker, Leckerli oder sonst einen Müll. Sondern einfach einen ganz normalen Menschenverstand ohne menschliche Defizite. Mein Hund kommt aus dem Auslandstierschutz, ein sehr selbstbewusster Hund, intelligent, der weiß, was er kann, ausgesprochen menschenbezogen, dazu einen ausgeprägten Wach und Schutztrieb. Vermittlungen vor meiner Zeit waren gescheitert, immer wieder zurückgeben. Ich habe ihn in ein neues Leben geführt, begleitet (Sozialisierung) und den Wach/Schutztrieb in gesunde Bahnen gelenkt.
Das Ganze hat insgesamt 2 Jahre gedauert. Leute, die uns kennen, die Geschichte kennen, finden es positiv. Besserwisser, wie ich mit meinem Hund arbeiten soll, gab es genug. Warum geben solche Leute nicht selbst so einem Hund die Chance, ein ganz normales Leben zu führen, wenn sie denn so viel Ahnung haben? So ein Hund ist keine Kaffeemaschine, wo man ein paar Knöpfe dran drückt.
👍🏻
Dein Bericht enthält, wie ich finde, weitere wesentliche Faktoren dafür, warum man vielleicht meinen könnte, dass „verhaltensauffällige“ Hunde zunehmen.
Nämlich eine Zunahme an verändertem Bewusstsein, sich dieser Hunde überhaupt anzunehmen.
Als meine Eltern mir 1991 endlich einen Hund ermöglichen wollten, riet man uns im Bekanntenkreis strikt davon ab, einen Tierheimhund zu nehmen. Die wären alle gestört und wenn ein Hund einmal gebissen habe, sei er für immer unberechenbar ☝️
Nun, wir gingen dennoch ins Tierheim, weil ich schon als Teenager unbedingt einen Tierschutzhund wollte. Im hiesigen Tierheim angekommen, sprangen in gefühlt jedem Zwinger wildgewordene, keifende Schäferhunde und deren Mixe an den Gittern hoch. Der damalige Tierheimleiter sagte uns, dass die nur auf Höfe gingen, alles andere sei zu gefährlich. Meine Eltern waren kurz nicht mehr sicher, ob sie meinen Herzenswunsch nicht doch lieber aufschieben und wir besser in der Zeitung nach einem Wurf in der Nähe schauen sollten. Aber dann gab es zum Glück den kleinen pudeligen Jack, der knopfäugig und winselnd um Aufmerksamkeit flehte und so direkt auch in Vaters Herz einzog.
Es gab übrigens auch nicht viel Schnickschnack um die Vermittlung - Hund gesehen, für gut befunden, mitgenommen. Nix mit Prüfung des persönlichen Hintergrundes - soviel zu „Heute kann man ja immer so unüberlegt Hunde shoppen“.
Niemals hätten meine Eltern einem von vorn herein als „verhaltensauffällig“ betiteltem Hund zugestimmt. Niemals hätten Menschen aus unserem Bekanntenkreis einen Hund aufgenommen, der einen Maulkorb braucht. Einen Maulkorb brauchten nur gestörte, unberechenbare Irre.
Dass das Hilfsmittel „Maulkorb“ zunehmend entstigmatisiert wurde und wird, ist ebenfalls das Ergebnis einer veränderten Haltung zum Hund und sie ermöglicht, dass auch verhaltensauffällige Hunde gesellschaftsfähig werden und nicht in Zwingern auf irgendwelche Höfe verschwinden. Da sieht sie keiner und was man nicht sieht, ist nicht da.