Ich verstehe, was Du meinst - glaube ich.
Aber das, was Du beschreibst trifft ja eben nicht auf das „gesunde“ Kommunikationsverhalten eines souveränen Hundes zu.
Vielmehr erkenne ich in Deinen Beispielen einen unsicheren, ambivalenten Hundetypen, der gelernt hat, dass Drohverhalten nicht zur Wahrung der Individualsphäre geführt hat. Entweder weil der Mensch, wie schon beschrieben, Drohverhalten falsch interpretiert und nicht adäquat reagiert hat oder weil ein Hund eingepfercht mit zu vielen Artgenossen keine Distanz schaffen konnte oder oder oder….gibt ja viele Ursachen.
Ein solch unsicherer Hund, der defensiv und aus Angst um Leib und Leben droht, wird nicht unbedingt deeskalieren. Selbst wenn das Gegenüber elndeutig beschwichtigt und Distanz herstellt, geht dieser unsichere Hund ggf hinterher, schnappt in die Beine o.ä. und eskaliert die Situation. Genauso kann sich seine Aggression auch umrichten und am Halter entladen. So ein Hund ist völlig überfordert, kann sich nicht regulieren, reagiert reaktiv und ist nicht in der Lage „nach Lehrbuch“ zu agieren.
Meinst Du diesen Hundetypen? ☺️
(So einer wohnt auch bei mir😆)
Deine Beschreibung des unsicheren Hundes, der trotz Beschwichtigungssignalen eskaliert, passt gut zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über Reaktivität, emotionale Dysregulation und fehlende Selbstregulation bei Hunden. ☺️
Allerdings ist es wichtig, auch Hunde einzubeziehen, die nicht aus Unsicherheit, sondern aus anderen Motivationen wie Ressourcenverteidigung oder sozialer Kontrolle eskalierendes Verhalten zeigen.
Hier mal was ich wissenschaftlich dazu finden konnte:
Unsichere Hunde zeigen aggressives Verhalten häufig aufgrund von:
Angst oder Überforderung: Der Hund fühlt sich bedroht und sieht keine Möglichkeit zur Flucht.
Fehlerhafter Erfahrung mit Drohkommunikation: Der Hund hat gelernt, dass subtile Signale wie Knurren oder Abwenden ignoriert werden, und greift deshalb zu intensiveren Strategien.
Stress und Dysregulation: Chronischer Stress führt zu verminderter Frustrationstoleranz und einem reaktiven, eskalierenden Verhalten.
Diese Hunde eskalieren häufig proaktiv, weil sie eine antizipierte Bedrohung sehen und die Situation kontrollieren möchten, bevor sie „außer Kontrolle“ gerät. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein souveränes Verhalten, sondern um eine erlernte Strategie, die auf Unsicherheit basiert.
Typische Verhaltensweisen:
Eskalation trotz Distanz oder Beschwichtigungssignalen.
Umlenkung der Aggression auf andere Reize, z. B. den Halter.
Starke Sensibilisierung gegenüber spezifischen Auslösern, die sich durch Generalisierung auf ähnliche Situationen verstärkt.
Hunde, die nicht aus Unsicherheit handeln, sondern gezielt aggressiv agieren, zeigen ein anderes Motivationsmuster. Diese Hunde nutzen Aggression strategisch, um ihre Ziele zu erreichen.
Gezielte Kontrolle der Situation: Der Hund eskaliert bewusst, um Ressourcen, Status oder Kontrolle zu sichern.
Klares, direktes Verhalten: Die Körpersprache ist oft entspannt, aber dominant (z. B. fixierender Blick, aufrechter Körper).
Kontextgebundenheit: Das Verhalten tritt in spezifischen Situationen auf, z. B. bei Ressourcenkonflikten oder bei dem Versuch, andere Hunde auf Distanz zu halten.
Typische Verhaltensweisen:
Eskalation, um Zugang zu Ressourcen zu sichern oder andere Hunde zu vertreiben.
Aggression als Mittel der sozialen Kontrolle, z. B. bei der Verteidigung von Besitz oder Rang.
Häufig begrenzt auf spezifische Auslöser und weniger generalisiert als bei unsicheren Hunden.
Beide Verhaltensweisen fallen jedoch aus dem Schema des „normalen“ Hundeverhaltens heraus und können als Verhaltensauffälligkeiten betrachtet werden, die gezielte Unterstützung erfordern. Der Unterschied zwischen beiden Typen ist entscheidend für das Training, da sie unterschiedliche Ansätze benötigen.
Quellen:
Palagi, E., Nicotra, V., & Cordoni, G. (2022). Conflict management in dogs: The role of de-escalation and escalation signals. PLOS ONE.
Levine, E., Ramos, D., & Mills, D. (2012). The impact of shelter care on the welfare of dogs: Stress and its consequences. Journal of Veterinary Behavior.
Lindsay, S. R. (2000). Handbook of Applied Dog Behavior and Training. Wiley-Blackwell.
Mills, D. S., Karagiannis, C., & Zulch, H. (2017). Stress—Its effects on health and behavior. Veterinary Behavior: Clinical Applications and Research.
Overall, K. L. (2013). Manual of Clinical Behavioral Medicine for Dogs and Cats. Elsevier.
van Kerkhove, W. (2004). A fresh look at the wolf-pack theory of companion-animal dog social behavior. Journal of Applied Animal Welfare Science.