Um mal zurück zum eigentlichen Thema zu kommen und auch warum es wichtig ist Aggressionsverhalten als solches zu benennen:
Bleiben wir mal dabei, dass Knurren „verpiss dich“ bedeutet.
Angenommen du gehst jetzt mit einer Freundin spazieren, beschäftigst dich mit der Freundin und nicht mit den Menschen um dich herum. Jetzt läuft auf der anderen Straßenseite jemand lang und brüllt rüber „verpiss dich“. Vielleicht möchte er nur mehr Abstand, weil euer Reden Seine Kopfschmerzen verschlimmert oder hat schlechte Erfahrungen mit Leuten mit roter Mütze gemacht und du trägst zufällig eine rote Mütze. Vorher hat er euch auch schon böse angestarrt und mit der Hand gewedelt um euch wegzuschicken.
Unangemessene Reaktion und Aggression und definitiv eine Eskalation der Situation, weil ihr gar kein Interesse an dieser Person hattet und den nicht beachtet habt.
In einem anderen Kontext mag ein „Verpiss dich“ angebracht und angemessen sein, in dem Beispiel oben nicht.
Und genau das ist das Verhalten was Leinenpöbler zeigen. Ja es steckt meist eine tiefergehende Ursache dahinter, aber es ist dennoch Aggressionsverhalten und eskalierend.
Ein in die Leine springen bzw. alles zu dem Reiz hin gerichtete ist zudem offensives Aggressionsverhalten und kein defensives (Rückzug).
Und nein ein Hund auf der anderen Straßenseite anzupöbeln, oder wie bei uns zu Anfang auf 20-25 m Entfernung, hat nichts damit zu tun bedrängt zu werden und zu deeskalieren. Und dennoch ist/war die Motivation sich die Hunde vom Hals zu halten und Kontakt zu verhindern.
Und ganz wichtig, Hunde sind keine Konfliktvermeider, auch wenn das immer wieder behauptet wird. Sie sind durchaus bereit Konflikte einzugehen oder bewusst zu starten, wenn sie sich daraus einen Gewinn (Beute, Status,…) erhoffen und einen Sieg für wahrscheinlich halten.
Das wäre ja z.B. ein Ansatz um Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden zu definieren. Die Studie von Palagi et al. (2022) hebt ja hervor, dass viele aggressive Verhaltensweisen wie Knurren, Zähnezeigen oder kurzes Zwicken primär der Konfliktvermeidung und Kommunikation dienen. Diese Verhaltensweisen sind funktional und regulierend, wenn sie richtig eingesetzt und verstanden werden.
Ein Leinenpöbler zeigt jedoch ein Verhalten, das aus diesem Schema herausfällt. Wie in der Verhaltensbiologie beschrieben, können Hunde in Konfliktsituationen verschiedene Strategien anwenden („4 F’s“: Fight, Flight, Freeze, Fiddle About). Ein Leinenpöbler wählt in der Regel die Fight-Strategie, allerdings auf eine unangemessene und eskalierende Weise. Das Verhalten ist offensiv und richtet sich aktiv auf den Reiz, auch wenn der ursprüngliche Auslöser oft Unsicherheit oder Kontaktvermeidung ist.
Die Unterscheidung zwischen deeskalierendem und eskalierendem Verhalten ist zentral. Während Knurren oder Drohen häufig deeskalierende Funktionen haben, wird das Verhalten eines Leinenpöblers als eskalierend eingestuft, da:
1. Die Intensität zunimmt: Lautes Bellen, Vorwärtsdrängen und Leinenzerren verstärken die Situation.
2. Der Kontext fehlt: Das Verhalten wird unabhängig von der tatsächlichen Bedrohung gezeigt, was auf eine fehlerhafte Wahrnehmung hinweist (Horowitz, 2009, Inside of a Dog).
3. Es generalisiert ist: Ein Leinenpöbler reagiert nicht nur auf einen spezifischen Reiz, sondern häufig in ähnlichen Situationen, unabhängig von deren Bedrohlichkeit.