Ja/in…
Ich denke, dass es immer auf den Hund/ die Situation ankommt.
Ganz am Anfang meiner Hundekariere ist Balou regelmäßig in den Wald geprescht, ich hatte so Angst, dass er ein Jäger wird.
Also Hundetrainerin her. Unsere Übung war so, dass ich Balou jedesmal gerufen habe sobald er in den Wald ist, dann Leckerchen.
Nach der zweiten Stunde wurde mir klar, dass er sich ein Spaß draus macht, Extra rein, dann gibt es Leckerlies.
Also Trainerin gecancelt und bei der nächsten Gelegenheit ein heftiges NEiN und ne sehr deutliche Ansage.
Damit war das Thema durch.
Seit dem beobachte ich erstmal wenn wir ne Baustelle haben, mach mir Gedanken und suche das passende aus meinem Bauchladen.
Ich denke, dass es so viele unterschiedliche Hunde und auch unterschiedliche Wege gibt und es in unserer Verantwortung als guter Hundeführer liegt, die passende Methodik anzuwenden.
Volle Zustimmung! Es kommt total auf den Hund an. Und ähnliches wie du, Sandra, hab ich auch erlebt. Sicher sind harte Strafen, Unterwerfung, Schmerz und Gewalt nie die Lösung, aber manchmal kommt man auch rein mit Analyse, positiver Bestärkung und Körpersprache bei gewissen Hunden an die Grenzen und es braucht körperliche Signale.
Als ich meine Hündin übernommen habe, wollte ich auch unbedingt auf Augenhöhe mit ihr arbeiten, mit kleinen Gesten, Worten, ihr mit Lob und Bestätigung Sicherheit geben und gewünschtes Verhalten bestärken. Das hatte auch super funktioniert, solange ich mit ihr als TH-Hund geabeitet habe.
Zuhause wollte ich dennoch so weitermachen. Geduld und viel Liebe, Verständnis usw. Auch wenn sie ab dem dritten/vierten Tag so ziemlich JEDE Regel, die mal zwischen uns existierte, immer wieder überschritten hat. Es wird zivilisiert an der Leine gelaufen, es werden keine Spaziergänger angeknurrt und auch nicht in die Leine gestiegen, es wird nicht alle zwei Meter getrödelt, mein Freund wird nicht attackiert(!) ... Selbst das Trockenfutter, das die ersten zwei Tage gierig verschlungen wurde, wurde erstmal stehen gelassen, um zu gucken, ob es evtl das feine Nass von Abends gibt. Aber ich habe tief durchgeatmet und weitergemacht, die Fehler ausschließlich bei mir gesucht und jeden Nerv dafür verbrannt, Verständnis für den Hund aufzubringen, seinen Blickwinkel einzunehmen, nach Alternativen und Ursachen zu suchen – was auch bei manchen Themen, gerade was Unsicherheit und Angst anging, viel gebracht hat.
Für einen leeren Napf am Morgen gab es von da an einen kleinen Nachtisch. Lief mein Freund am Körbchen vorbei, rief er den Hund zuerst zu sich, um die Konfrontation vorweg zu nehmen. Mein Freund wurde allgemein mehr ins Training eingebunden, durfte die besseren Belohnungen geben, das feine Nass füttern, war Kuschelbeauftragter und durfte sich auf Spaziergänger als Hundeaufpasser bewähren. Leinenführigkeit wurde komplett neu aufgebaut. Fürs Nicht-Anschlagen bei Geräuschen von Flur wurde belohnt. Manches hat geklappt, anderes nicht.
Beim Thema Trödeln und Leinenführigkeit war es zB so, dass sie dann wieder schön lief – bis sie einen Keks als Belohnung bekam, dann drehte sie sich KAUEND um, stemmte alle vier Pfoten in den Boden und blieb da stehen. Ich atmete tief durch, rief sie weiter, sie kam angedackelt, lief fünf Meter mit, wurde belohnt, gleiches Spiel. Auch mit verbalem Lob. Nach 30 Metern ist mir dann eines Tages die Hutschnurr gerissen, ich hab sie zusammengeschissen wie auf nem Exerzierplatz, hab die Leine am Geschirr kurz genommen und hab sie stumpf dran mitgenommen – und zack erinnerte sich das Tier, wie das mit und an der LOCKEREN Leine funktioniert.
Es war für mich ein sehr deprimierender Moment. Einerseits, weil ich komplett entgegen meinem Wesen gehandelt habe, was sich immer falsch anfühlt. Und weil es auch noch im Gegensatz zu allen anderen partnerschaftlichen und netten, sanften Methoden, die ich tagelang durchgehalten habe, funktioniert hat. Ich habe an dem Tag gelernt, dass Hunde sicher niemals Streit suchen, das ist zu komplex, aber es gibt solche, die nicht unsicher, eingeschüchtert oder überfordert sind, sondern die testen. Testen, wie ernst es dir ist, wenn du eine Regel vorgibst und ob es nicht einen Weg für sie gibt, sogar noch Profit rauszuschlagen. Und da gibt es zur Konsequenz einfach wenig Alternative. Wobei die Konsequenz immer dem Hund und der Situation angemessen sein sollte. Von Alpharolle und Co halt ich auch nix, kann aber verstehen, dass du, Jessica, es versucht hast. Wenn die Nerven blank liegen, greift man nach jedem Strohhalm.
Wenn mein Hund unterwegs eine Pfütze zum Saufen anvisiert, reicht ein deutliches 'Weiter' (inzwischen), setzt sie trotzdem an, reicht es, wenn ich etwas fester neben ihr auftrete.
Fordere ich aber in Gegenwart von Besuchern in der Wohnung ein, dass sie sich auf ihrer Decke hinsetzt, wobei ich das Sitz verbal und per Handzeichen im Normalfall auf 10m Entfernung von ihr abrufen kann, und sie ignoriert das, trotz dass ich ihr die Sicht auf den Besuch nehme, auf sie zugehe, mich groß mache, fester Stand und Stimme ... Da meinte auch meine Trainerin, dass es an Körpersprache und Stimme nicht mehr liegt, die meisten Hunde hätten schon fünfmal gesessen. Dann kann ich sie nicht noch fünfmal bitten, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann dazu herablässt, zu folgen. Ich kann auch nicht anfangen mit Leckerchen zu bestechen. Am allerwenigsten kann ich weggehen nach dem Motto 'Dann halt nicht'. Da bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ihr auf die Kruppe zu tippen oder sie ins Sitz zu bringen – auch wenn das nicht schön ist, aber die Kämpfe, die ich mir einhandle, wenn ich länger diskutiere (mit Schnappen und Zwicken), vermeide ich so.
Ich wünschte, ich müsste das nicht. Ich wünschte, ich könnte auch mal die Fünfe gerade sein lassen. Ich wünschte, mein Hund würde meine Anweisungen immer als das annehmen, was sie sind: Hilfestellungen. Ich wünschte, mein Hund würde spüren, dass ich es nur gut mit ihm meine und ich wirklich nur so viele Regeln aufstelle, wie sie für uns beide nötig sind. Ich wünschte, ich müsste nie weiteegehen, als eine drohende Körperhaltung; wünschte, dass selbst das nie nötig wäre. Und ich bin mir sicher, dass für viele Hunde eine nahezu ausschließlich positive Erziehung, gerade bei Angsthunden, gut ist – aber nicht für jeden. Die Einstellung halte ich für so gefährlich wie die Ansicht, dass ein Alphawurf alle Probleme löst. Man sollte es immer erst so sanft wie möglich versuchen, aber wenn das nichts bringt oder der Hund anfängt, seinen Halter zu dressieren, dann sollte man es auch nicht solange schlucken, bis man derart fertig mit den Nerven ist, dass man explodiert (da schießt man dann nämlich auf jeden Fall übers Ziel hinaus), sondern kontrolliert hocheskalieren und schauen, ab wann die Nachricht 'So nicht!' beim Hund ankommt (immer vorausgesetzt, dass der Hund in der Situation eig weiß, wie er sich zu benehmen hat oder was ich von ihm verlange). Bei manchen reicht ein strenger Blick, bei anderen in manchen Situationen eben nicht und dann muss man schauen, was passt. Wären wirklich ALLE Hunde super Konfliktvermeider, gabe es ja auch unter Hunden keinen Stress.
Hatte darüber auch mal mit anderen Usern gequatscht, da ging es darum, in welchem Rahmen einzelne Halter maßregeln oder korrigieren ( https://dogorama.app/de-de/forum/Erziehung_Training/Massregeln_Korrigieren-wUq1GOYf7QKcOHDxYDbI/ ) , die Antworten, die dabei rumkamen, fand ich auch recht aufschlussreich.