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Ramona
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zuletzt 28. Mai

Deprivationssyndrom - wer kennt es noch

Für alle, die das Deprivationssyndrom nicht kennen: Unter dem Deprivationssyndrom versteht man eine Entwicklungsstörung beim Hund, die aufgrund fehlender Reize im prägenden Welpenalter auftritt. Der Hund war in dieser Prägephase keinen bis wenigen entwicklungsnotwendigen Reizen ausgesetzt, wodurch sich das Gehirn nicht optimal entwickeln konnte. Eine ganze Weile wusste ich nicht, was bei Sunny im Köpfchen falsch läuft. Ich wusste nur - sie ist anders Schön fast hypersensibel, ständig unter Stress und für diesen sehr anfällig, mit neuen Situationen total überfordert. "normales" Training nicht möglich, ständige und wirklich ständige Reizüberflutung, bei neuen Reizen nicht mehr abrufbar... Sehr stark auf mich fixiert... Normales Gassi gehen mit anderen nicht möglich... Alles fremde macht ihr enorme Angst Oft bekomme ich zu hören: "da muss sie durch" "sie muss da durch" und ähnliches Dank einer lieben Bekannten und Verhaltenstherapeutin kann ich mittlerweile sagen: NEIN! Das muss Sunny NICHT! Sunny hat das Deprivationssyndrom! Als Welpe in der Tötung, mit 4 Monaten in ein privates Shelter, mit 6 Monaten kam sie zu mir. (Natürlich leidet nicht jeder Hund mit ähnlicher Geschichte unter diesem Syndrom) Das Training mit Sunny benötigt sehr viel Feingefühl und Verständnis für diese Form der Entwicklungsstörung. Man kann nicht einfach mit ihr in Situationen rein gehen, um ihr zu zeigen das nichts passiert. Ganz im Gegenteil: mit einem Entzug aus für sie kritischen Situationen ist ihr viel mehr geholfen. Die Körpersprache das Hundes zu lesen ist enorm wichtig - denn ausschließlich Sunny zeigt mir, wann sie bereit ist einen Schritt vor zu gehen. Es ist ein schwieriger Weg, aber mit Geduld, Zeit und Liebe schafft man es gemeinsam. Allerdings gehört auch die Bereitschaft dazu, Strukturen und Rituale zu erstellen und ein zuhalten - den Tagesablauf mit dem Hund nach dem Hund zu strukturieren. Und nicht nach dem Menschen Wem geht es auch so? Wer hat ebenfalls eine Fellnase mit diesem Syndrom? Würde mich über einen Austausch freuen
 
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Simone
20. Juni 06:58
Sunny ist mein erste Hund mit diesem Syndrom. Was es nicht unbedingt einfacher macht. Allerdings habe ich Erfahrung mit Trauma-Hunden. Es ist zwar dennoch ein wirklicher Unterschied, aber so kannte ich bereits das Training auch anders sein kann. Die größte Herausforderung hat für uns dargestellt, nach Sunny zu planen und zu leben, und nicht umgekehrt.
Hast du das von einem Fachmann Diagnostizieren lassen
 
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Ramona
20. Juni 06:59
Hi, wir haben seit 3 Monaten eine Hündin aus dem Tierschutz. Leider hat auch sie dieses Problem. Wir haben zum Glück noch zwei Hunde , welche ihr das lernen einfacher machen und wir konnten dadurch schon viele Fortschritte verzeichnen. Es bleibt halt trotzdem ein langer Weg und wir wissen, sie wird wohl immer ein toller aber spezieller Hund bleiben. LG
Sunny lebt hier zusammen mit noch zwei anderen Hunden. Minni und Hexe (Trauma-Hündin). Ich sage jetzt bewusst zum Glück: von Sunny bin ich die Bezugsperson und von Hexe mein Mann. Ich glaube, sonst wäre alles noch schwieriger.
 
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Sandra
20. Juni 07:05
Ja sie hat sich die Plätze selbst ausgesucht. Ich bin aber ehrlich bei muss sie durch ich gehe null auf das meideverhalten ein. Das soll auch so gemacht werden sie weiß das ich dafür sorge das keine fremden sie anfassen. Das ist eine schäferhündin die wird gearbeitet wie die anderen auch. Wenn man der Meinung ist sie müssen da nicht durch wird das Verhalten bestehen bleiben weil es noch damit verstärkt wird
Es gibt da unterschiedliche Ausprägungen, je nachdem, ob das Gehirn des Hundes trotz der Einschränkung noch imstande ist, „Umleitungen“ zu stricken, d.h. neue Synapsen auszubilden oder nicht. Ich habe Glück: einmal gelerntes - auch wenn das lernen lang dauert - vergisst mein Hund nicht. Andere aber müssen ggf. täglich wieder von vorn „unterm Fußboden“ beginnen mit dem Lernen. Und Lernen unter Angst funktioniert nun mal nicht. Also benötigt jeder Patient sein eigenes Tempo und eine eigene Strategie. Jemand hier hat die Aussage getroffen: es ist eine Gratwanderung ähnlich wie bei Traumahunden, aber noch schwieriger bzw. schlimmer. Und das sehe ich auch so. Und wie gesagt: ich habe noch Glück. Mein Hund ist intelligent + neugierig. Das erleichtert die Sache erheblich. Das kann aber bei einem anderen Hund vollkommen unterschiedlich sein.
 
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Ramona
20. Juni 07:05
Tatsächlich habe ich mir bei meiner Hündin auch gedacht, dass sie Entwicklungsverzögert ist, so im Vergleich mit anderen Hunden. Ich kann mir vorstellen, dass Milla auch dieses Syndrom hat. Wenn die Leute mich fragen, wo sie herkommt und ich Rumänien antworte, sagen immer alle, dass sie wohl schlimmes erfahren hat. Das glaube ich aber nicht, ich denke, sie hat nur einfach nicht genug positives gelernt. Ihr fehlt also etwas in der Entwicklung. Sie ist auch sehr reizempfindlich, Gerüche, leise Geräusche (Baustelle und Feuerwerk stört sie so gar nicht)... Außerdem haben wir festgestellt, dass sie jeden Menschen, den wir in unserer Nähe haben wollen, einzeln und mit sehr viel Ruhe und Abstand und Training kennen lernen muss. Klingeln und Besuch geht bei uns gar nicht. Menschen draussen sind ihr alle! suspekt (naja, die mit Hund gehen meist) . Es ist sehr anstrengend. An einigen Tagen bin ich froh, mit ihr zum Auto zu kommen (weil sie alles und jeden anbellt) und 500m bis zum Park zu fahren. An anderen Tagen kann ich einen Miniausflug in die Stadt machen, da ist sie dann sehr auf mich fixiert. Pubertät und Läufigkeit/Scheinmutterschaft machen es uns nicht leichter.
Wenn du den Verdacht hast, mache am besten mal einen Info Termin bei einer Verhaltenstherapeutin die sich mit Entwicklungsstörungen auskennt. Es muss ja nicht diese Form der Entwicklungsstörung sein, gibt ja einige. Die kann euch da gut beraten. Vorallem auch bzgl Trainings. Ist bei jedem Hund sehr individuell.
 
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Sandra
20. Juni 07:15
Es ist tatsächlich schwierig zwischen einem ängstlichen unsicheren und einem deprivierten Hund zu unterscheiden... Auf jeden Fall von außen. Als Haley mit 2,5 Jahren zu mir kam, hatte ich noch nie davon gehört. Diese 2,5 Jahre hatte sie im Zwinger auf einem deutschen Tierschutzhof verbracht. Sie ist dort aufgewachsen. 4 Monate verließ sie ihr neu gewonnenes Körbchen nicht, den Raum nicht, daß Haus verlässt sie bis heute selten freiwillig. Drinnen vollständige Apathie, draussen Angst und Panik. Völlig überfordert von sämtlichen Aussenreizen. Vom Wind in den Blättern, von Menschen, von anderen Hunden, von Dingen die wir gar nicht wahrnehmen. Bei Deprivierten Hunden geht es nicht nur um Angst. Sie sind eingeschränkt darin Beziehung und Bindung aufzubauen, auch zu ihrem Halter... Zu lernen, Erfahrungen zu sammeln, oft sind die Sinne nicht richtig ausgeprägt. Explorationsverhalten gleich null. Haley interessierte sich für gar nichts. Sie schnüffelte nicht, sie interessierte sich nicht für Futter oder Leckerchen oder gar Spielzeug. Auch nicht für Artgenossen. Sie machte mit Ach und Krach 1x in 24 Stunden Pipi und wirkte ansonsten wie in sich gefangen. Haley hätte im Haus auch eine Deko Figur sein können. Es fiel gar nicht auf das ein Hund im Haus war. Ich hatte einen Hund, der sich in keiner Form freute oder reagierte wenn ich Nachhause kam, zur Tür kam wenn ich ihn rief um mir nach draussen zu folgen. Haley lag oder saß irgendwo in der Ecke mit ihrem Trauerkloßgesicht oder einem Verhalten, als sei sie in Erwartung gleich verprügelt und misshandelt zu werden. Wenn wir sie irgendwohin Mitnahmen, saß sie teils Stunden In einer Ecke ohne sich zu bewegen. Ich trug 25 Kilo raus 4x am Tag... Normale Spaziergänge waren lange gar nicht möglich... Bestimmt 1 Jahr. Die Blicke und Kommentare der Außenwelt werde ich nie vergessen. Außenstehende wissen nicht was da passiert, wenn 25 Kilo zitternd, flach wie eine Flunder auf dem Boden liegen, weil ein Kind gegen einen Ball tritt. Oder ein Blatt vom Baum fällt. Haley schien vor Allem Angst zu haben und war gar nicht mehr ansprechbar. Ich war oft verzweifelt, habe viel geweint, weil es mir weh tat diesen ausnahmslos liebevollen und liebenswerten Hund zu sehen, der mit dem ganzen Leben überfordert schien. Ich nannte sie irgendwann liebevoll meinen "Autisten- Hund" und der Außenwelt voller "netter" Kommentare teilte ich mit, daß ich sie nur Dienstags und Donnerstags schlage 😜 Sie schreit nicht gerade "Ich bin ein normaler Hund". Mitleid hilft ihr nicht, "da muss sie durch" hilft ihr nicht nur nicht... Sondern schadet ihr zusätzlich. Ich musste also lernen damit umzugehen. In nunmehr 2 Jahren hat sich viel getan, trotzdem wird Haley vielleicht niemals ein normales Hunde leben führen können. Die meisten Trainings oder Angstbewältigungs Ansätze greifen bei solch einem Hund nicht. Denn er hat nicht gelernt zu "lernen", er verarbeitet Erfahrungen nicht. Die dazu notwendigen Verbindungen im Gehirn haben sich nie gebildet. Ein deprivierter Hund ist kein Angsthund. Er ist tatsächlich gewissermaßen geistig behindert. Es ist schwer zu erklären. Man muss Vieles in Kauf nehmen, sein Leben fast vollständig nach dem Hund ausrichten, Rücksicht nehmen, Nerven aus Drahtseil haben... Wenn man etwas erreichen will. Verloren sind diese Hunde in meinen Augen aber nicht. Denn mir wurde sogar zum einschläfern geraten, von einer Hunde schule. Ich kaufte ihr stattdessen einen Aufnäher mit den Worten "Mama says I'm Special" und dann marschierten wir los. Es ist mir egal was andere Menschen denken oder tuscheln oder hinter meinem Rücken reden, weil mein Hund nicht ist wie Andere. Wenn ich heute wieder einmal meine 25 Kilo aus einer Situation tragen muss, weil absolut nichts mehr geht... Dann trage ich sie mit Stolz 😅 Als dieser Hund nach gut 1 Jahr das erste Mal losgerannt ist, und sich wie Bolle über eine Wiese freute, sich wortwörtlich überschlug, herumrollte, ganz simple Lebensfreude zeigte, hätte ich heulen können. Nach fast 2 Jahren hat sie Lebensqualität und Freude, auch wenn sie immer noch in Vielem eingeschränkt ist. Auch wenn es immer mal Rückschritte gibt oder Tage an denen sie scheinbar alles vergessen hat. Sie ist wie sie ist. Und für mich ist das ok Ja, man muss lernen seinen Hund sehr gut lesen zu können. Es gibt ein "Ich finds gruselig, aber ich folge dir durch die Situation" und ein "Warte, ich muss mich sammeln und die Situation einschätzen und bewerten"... Und dann gibt es aber auch ein "Ende jetzt und hier, nichts geht mehr. Keine 10 Pferde bekommen mich da entlang". Die Entscheidungsphase bis zur Flucht kann ich an Haley wirklich beobachten. Und dann muss ich eingreifen, bevor die Entscheidung gefallen ist. Hat diese Hündin sich erstmal für die Flucht entschieden, hört die nix mehr, sieht die nix mehr, lässt sich nicht beruhigen und das zieht die durch... Nicht nur bis sie aus der Situation raus ist... Sondern bis sie in ihrem sicheren Zuhause ist.
Danke ☺️
Du hast es so toll und liebevoll erklärt.
„Nicht gelernt zu lernen“ & „geistige Behinderung“. Ganz richtig!! Ich habe mir angewöhnt, fragenden und skeptischen Blicken zu erklären, dass mein Hund neurologisch eingeschränkt ist. Eben mit special effects und verhaltensoriginell. Hinzu kommen so Symptome wie Magenschleimhautentzündungen und mangelnde bis fehlende Impulskontrolle. Das kann oft auch kein Training richten. Ich bin gestern gelobt worden, dass mein Hund wohlerzogen sei. Das war so lieb und tat so gut mal zu hören! Aber, das kann man keinem erklären: an der Erziehung liegt es eben (fast) gar nicht, sondern am Vermögen des Hundes. Er möchte ja. Aber er kann nicht. Das ist ein großer Unterschied.
Nochmals Danke!!
 
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Ramona
20. Juni 07:20
Ja sie hat sich die Plätze selbst ausgesucht. Ich bin aber ehrlich bei muss sie durch ich gehe null auf das meideverhalten ein. Das soll auch so gemacht werden sie weiß das ich dafür sorge das keine fremden sie anfassen. Das ist eine schäferhündin die wird gearbeitet wie die anderen auch. Wenn man der Meinung ist sie müssen da nicht durch wird das Verhalten bestehen bleiben weil es noch damit verstärkt wird
Eben nicht. Genau dieses da muss sie jetzt durch versetzt sie in komplette Panik und macht sie nicht mehr händelbar. Das wäre bei uns der völlig falsche Ansatz.
 
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Karin
20. Juni 07:21
Ja sie hat sich die Plätze selbst ausgesucht. Ich bin aber ehrlich bei muss sie durch ich gehe null auf das meideverhalten ein. Das soll auch so gemacht werden sie weiß das ich dafür sorge das keine fremden sie anfassen. Das ist eine schäferhündin die wird gearbeitet wie die anderen auch. Wenn man der Meinung ist sie müssen da nicht durch wird das Verhalten bestehen bleiben weil es noch damit verstärkt wird
Die Erfahrung habe ich auch gewonnen. Seitdem ich darauf bestehe an, z.b. irgendwas für sie extrem gruseliges vorbei zu gehen, hat sich ihr verhalten positiv verändert. Mit sanftem Druck, einfach stehen bleiben wenn sie scheut und ohne tamtam weiter gehen wenn die Leine locker wird hat uns echt vorwärts gebracht. Nun bleibt sie stehen , sucht meinen Blick, man sieht sie richtig denken 🤣, und dann gehen wir gemeinsam da vorbei. Kommt wahrscheinlich auch auf jeden Hund anders drauf an aber bei uns hat es super geklappt.
 
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Ramona
20. Juni 07:22
Ich finde es einfach Klasse das ihr euch dieser großen Herausforderung stellt , nach Gründen forscht, Lösungen sucht und mit ganz viel Geduld und Liebe Stück für Stück Erfolge erlebt😍😍 Ich ziehe meinen Hut 🎩 ❣️❣️ Einfach toll 🥰
Danke sehr. Es ist auch nicht immer einfach. Tagesabläufe sind durch unsere Selbstständigkeit eher selten immer gleich. Wir haben aber für morgens und abends feste Rituale, die ich auch festhalte. Dann bin ich halt erst ab 9 Uhr bei uns im Büro und mache den Papierkram. Es ist schwierig. Aber es klappt.
 
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Simone
20. Juni 07:23
Eben nicht. Genau dieses da muss sie jetzt durch versetzt sie in komplette Panik und macht sie nicht mehr händelbar. Das wäre bei uns der völlig falsche Ansatz.
Dann fehlt aber auch bei euch komplett die Bindung eh sicherer und entschlossener man ist usw
 
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Simone
20. Juni 07:25
Die Erfahrung habe ich auch gewonnen. Seitdem ich darauf bestehe an, z.b. irgendwas für sie extrem gruseliges vorbei zu gehen, hat sich ihr verhalten positiv verändert. Mit sanftem Druck, einfach stehen bleiben wenn sie scheut und ohne tamtam weiter gehen wenn die Leine locker wird hat uns echt vorwärts gebracht. Nun bleibt sie stehen , sucht meinen Blick, man sieht sie richtig denken 🤣, und dann gehen wir gemeinsam da vorbei. Kommt wahrscheinlich auch auf jeden Hund anders drauf an aber bei uns hat es super geklappt.
Die Bindung muss stimmen und auch die Sicherheit des hundeführers. Wenn ich zögere oh ich weiß nicht wir können auch einen anderen Weg gehen versetzt den Hund in Unsicherheit bis hin zur Panik