Das ist ja nur der Anfang.
Es ist entweder so, dass er hinrennt und erst mal gockelt, Kopf auflegt und all den Dominanzscheiß und dann eskaliert es zu einer Rauferei.
Oder, was meist schlimmer für die Leute ist, er rennt ungebremst hin und fängt direkt eine Rauferei an.
Er ist sehr groß, sehr laut, packt die Hunde im Fell (im Durcheinander sieht man erst wenn die Hunde getrennt sind, dass er nicht gebissen hat) und drückt die Hunde mit vollem Körpereinsatz zu Boden, Schnauze mit fletschenden Zähnen gegen den Körper gedrückt und Grizzlybär Geräuschen.
Er nagelt sie fest sozusagen.
Bei kleinen und wendigen Hunden dauert es natürlich bis er sie "erwischt" und das sieht schlimm aus.
Gebissen hat er noch nie, aber das wissen die Leute ja nicht. Die sehen einen großen Schäferhund (die ja auch einen gewissen, bissigen Ruf haben...) auf ihren Hund zudonnern und entweder es wird erst mal gehampelt oder es geht sofort zur Sache.
Das passiert natürlich nicht bei jedem Hund. Aber selbst wenn es bei 1 oder 2 von 10 passiert, kann ich ihn nicht zu 10 Hunden lassen, weil ich ja auch nicht weiß welchen es treffen wird.
Klein und weiß ist ein großes Thema, aber auch alles Richtung Berner Sennenhund ist kritisch. Dennoch weiß man es nie so genau, das Risiko bleibt bei jeder Begegnung.
Wenn er nur ein lästiger Proll wäre, der aufreitet und bisschen stänkert wäre das was anderes.
Liebe Julia, ich fand deine Gedanken zur operanten Aggression und den Umgang mit Nero sehr eindrücklich – besonders auch dein Ringen mit der Frage, was funktioniert und was sich stimmig anfühlt. Diese Diskrepanz kennen viele, aber nur wenige formulieren sie so klar und ehrlich. Wie du beschreibst, dass er zwar sehr körperlich, sehr laut, aber dennoch - vielleicht grenzwertig aber noch - kontrolliert agiert, ist eine wichtige Nuancierung. Es gibt eben diese Form von Aggression, die weder rein reaktiv noch pathologisch ist, sondern strategisch – funktional und gezielt eingesetzt, ohne echte Schädigungsabsicht. Gerade weil sie selten und schwer einzuordnen ist, wird sie in vielen Trainingskonzepten schnell übersehen oder vorschnell etikettiert.
Ich habe viel über deine Beiträge nachgedacht und musste dabei auch an meinen Rüden denken. Auch bei ihm vermute ich, dass sich bestimmte Verhaltensmuster aggressiver Kommunikation schlicht bewährt haben – etwa in den ersten Lebensmonaten mit zu vielen Hunden, zu wenig Ressourcen und keiner stabilen Bezugsperson. Diese früh erlernten Mechanismen sind heute nicht mehr „nötig“, aber sie sind verfügbar – operant, abrufbar, und bis zu einem gewissen Grad selbstbelohnend. Das macht sie nicht gefährlich im Sinne von unkontrollierbar – aber eben auch nicht rein „affektgesteuert“.
In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob solche Muster überhaupt in die „normale“ Sozialstruktur des Hundes passen. Ich würde sagen: nicht typisch, aber auch nicht unnatürlich. Strategisch eingesetzte Aggression ist bei sozialen Tierarten selten – aber sie kommt vor. Und sie ist nicht zwangsläufig Ausdruck eines „defekten Systems“. Gerade bei durch Zucht geprägten Hunden lohnt sich der Blick darauf, was funktional geworden ist – nicht nur, was aus Sicht menschlicher Sozialverträglichkeit wünschenswert wäre.
Ich fand auch deinen Einwurf zur Selektion sehr treffend: Hunde(rassen) sind keine Produkte natürlicher Evolution im klassischen Sinne, sondern Ergebnis züchterischer Entscheidungen. Dabei haben sich nicht immer die durchgesetzt, die gut mit anderen klarkommen. Manche bestehen schlicht durch Durchsetzungskraft – was ethologisch erklärbar ist, im Alltag aber sehr herausfordernd sein kann.
Wenn du magst, kann ich dir zwei fundierte Quellen empfehlen, die Aggression aus verhaltensbiologischer Perspektive differenziert einordnen – vielleicht kennst du sie aber ohnehin schon:
Petra Krivy & Udo Gansloßer (2011): Mein Hund zeigt Aggressionen
Wissenschaftlich fundiert, aber praxisnah, erklärt verständlich, was echte Aggression vom harmlosen Drohverhalten unterscheidet. Zeigt auf, wie Aggression Kommunikation sein kann, wann sie problematisch wird – auch ohne pathologisierende Untertöne.
Feddersen-Petersen: Hundepsychologie – mit Schwerpunkt auf Ausdrucksverhalten, innerartlicher Verständigung und ritualisierter Aggression. Besonders wertvoll finde ich ihren Ansatz, Aggression als Teil der sozialen Kommunikation zu verstehen – etwas, das auch in vielen belohnungsbasierten Ansätzen zunehmend anerkannt wird.
Und abschließend noch ein Gedanke zu Steffis Kommentar, den ich ebenfalls sehr treffend fand: Du musst deine Persönlichkeit nicht verändern, um die Situation tragfähig zu gestalten. Du bist bereits sehr reflektiert, offen, suchend – das ist in einem ganz ursprünglichen Sinn „positiv“ und verantwortungsbewusst. Der Weg zu einer funktionierenden Lösung muss nicht geradlinig sein – er muss nur zu euch beiden passen. Und manchmal gehört auch dazu, verschiedene Wege ehrlich zu prüfen – inklusive der Möglichkeit, Verantwortung weiterzugeben. Das ist Haltung.