Ich empfinde deine Gedanken als sehr interessant.
Ich denke wie ein Hund eine Begegnung gestaltet haben möchte, unterscheidet sich sicher von Individuum zu Individuum.
Das beinhaltet nicht nur einen höflichen Bogen sondern ein bisschen etwas davor, was oft übersehen und übergangen wird und für manche Hunde ein wenig wichtiger ist als für andere.
Das Hunde wechselseitig auf Sicht mal hier und da stehen bleiben, sich Blicke zuwerfen, sich seitlich abwenden, wieder näher kommen und dem Hund mit dem Abwenden auch zeigen „Du kannst ein Stück näher kommen“. Je sicherer sich ein Hund fühlt desto beiläufiger läuft das oft ab. Noch vor dem Bogen laufen.
Meine Hündin fühlt sich bei diesem Prozedere deutlich wohler.
So wie du es beschreibst, ein Hund geht in die Richtung, während der andere steht, da finde ich auch meine Hündin wieder und genau so praktiziere ich die Hundebegegnungen meistens auch, weil es ihr so leichter fällt. Wenn ein anderes Team zügig kommt, stellen wir uns irgendwo hin, wo mehr Platz ist und lassen passieren/ nehmen ggf. Kontakt auf oder wenn das andere Team steht, eben andersherum. Das funktioniert hier recht gut, wogegen beidseitiges Vorbeigehen bei fremden Hunden nach dem Motto „Wir gehen weiter!“ hier nicht so gut ankommt, weil es Mira nicht ermöglicht stehen zu bleiben und dadurch mehr Stress für sie reinbringt.
Und das obwohl sie gar nicht der „Will-weg-Typ ist“. Selbst wenn sie sich in einer Begegnung nicht wohlfühlt, bleibt der ganz Körper nach vorne gerichtet.
Sieht sie einen Fremdhund der ihr ggf. nicht passt handelt sie auch auf weitere Entfernungen nicht distanzerhöhend. Im Gegenteil.
Zu dem Buch Calming Signals:
Ich denke, dass das was du gelesen hast sich auf das Workbook bezieht.
Die Empfehlung bezog sich auf das Buch von Turid Rugaas, nicht auf das Workbook, dass von anderen Autorinnen geschrieben wurde.
Was ich an deinem Beitrag besonders spannend finde, ist dein Blick auf den Bogen als Teil eines gesamten Prozesses – quasi als Ergebnis feiner Abstimmungen davor. Das hat mich noch einmal zum Nachdenken gebracht, weil es auch das trifft, was ich bei meiner Hündin oft beobachtet habe: Der Bogen war bei ihr nicht primär die „höfliche Geste“, sondern eher das, was nach einer Reihe kleiner Regulationsversuche noch im Köfferchen war. Ein „Okay, näher geht nicht, aber ich weiche aus – sonst halte ich’s nicht aus.“
Und wenn sie vorbei war - ausatmen.
Ich glaube, dass der Bogen bei manchem Hund weniger mit Manieren oder höflicher Annäherung zu tun hat als mit emotionaler Selbstregulation und manchmal einfach mit dem Versuch, irgendwie heil durchzukommen.
Bei Neo z. B. ist so ein Bogen gar nicht im Repertoire – ich denke heute allmählich: nicht, weil er unhöflich ist, sondern weil ihm lange schlicht keine Auswahl an Mustern zur Verfügung stand. Kein Drohen, kein Ausweichen, kein Bogen – nur scheinbare, stoische Ruhe. Und dann, wenn’s zu viel wurde, eine direkte (Schein-)Attacke. Kein „Ich will hin“ und auch kein „Ich will weg“. Stattdessen: „Ich weiß nicht wohin mit mir; ich halt es nicht aus.“
Erst mit der Zeit hat sich etwas verändert – sowohl bei Neo, als auch sicher und vor allem bei mir. Früher wäre mir sein allmähliches Einfrieren zu spät aufgefallen oder ich hätte es als reines Glotzen abgetan. Heute sehe ich: Wenn er einen fremden Hund sieht, wird er langsam. Seine Bewegungen wirken wie in Zeitlupe, er bleibt ansprechbar, er fällt leicht zurück. Kein Ziehen, kein Bellen, kein Ausweichen – aber auch kein Drauflosstürmen mehr, obwohl der Raum dafür da wäre.
Vielleicht zeigt er sich heute früher. Vielleicht nehme ich ihn einfach genauer wahr. Wahrscheinlich beides. Was früher in einer Eskalation endete, bleibt heute Spannung, aber ohne Ausbruch. Und das lese ich nicht mehr als unhöflich, sondern als das, was es ist: Sein Versuch, irgendwie klarzukommen – mit so viel Kontrolle, wie ihm eben möglich ist.
Deshalb finde ich die eigentlich spannende Frage ist die, ob ein Hund überhaupt eigene verinnerlichte Strategien hat? Wird ihm Raum für Selbstregulation gelassen? Oder muss er „funktionieren“, bevor er sich überhaupt zeigen darf?
Denn ob es dann höflich, unhöflich oder dramaresistent aussieht, sagt noch nichts darüber, wem die Bewegung eigentlich gehört.