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Dogorama-Mitglied
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zuletzt 21. Dez.

Intrinsische Motivation - Leinenführigkeit?

Hallo liebe Hundemenschen, Ich bin durch einen anderen Thread darauf gestoßen, dass man Leinenführigkeit mittels intrinsischer Motivation beibringen kann. Intrinsische Motivation bedeutet das es der Hund von sich aus macht, es macht ihm Spaß und führt es für sich bzw. sein Wohlbefinden aus. Also zum Beispiel ist bei meinem Münsterländer das Jagen eine intrinsische Motivation, die ich mir für die Arbeit zunutze mache. Ich trainiere viel mit meinen Hunden und natürlich auch die Leinenführigkeit. In aller Regel machen das meine Hunde aber nicht aus eigener intrinsische Motivation. Jetzt frage ich mich natürlich, was ich die Jahre falsch gemacht habe, dass meine Hunde anscheinend nicht aus intrinsischer Motivation neben mir her spazieren. Habt ihr eine Idee wie man das aufbaut, dass er Hund das aus intrinsischer Motivation macht? Ist dies überhaupt möglich?
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 08:38
Ich glaube ich verstehe deinen Punkt jetzt gerade einfach nicht. Auch wenn man extrinsisch arbeitet – also zum Beispiel mit Futter oder anderen Belohnungen –, würde man doch ohnehin zuerst die basalen Bedürfnisse stillen, um fair zu bleiben und den Hund nicht in einen Konflikt zu bringen. Wenn der Hund also nicht hungrig war, als du mit ihm an den Hühnern gearbeitet hast, zeigt das für mich, dass das Jagdverhalten auch unabhängig von Hunger bestehen kann, aber nicht zwingend wichtiger ist als Sicherheit. Zumindest wenn man nach Maslow geht.
Ah...laut Bedürfnispyramide sind aber die physiologischen Bedürfnisse (auch wenn sie unten stehen) prioritär. Unter die fällt auch Sex und wohl auch sowas "instinktives" wie die Jagdmotivationen.

Um so mehr ist due Frage relevant, warum die Orientierung am Menschen das intrinsisch "übertrumpfen" sollte?

Und eben auch, warum ein Hund sich unsicher fühlen sollte, wenn er dafür den direkten Umkreis des Menschen verlässt?
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 08:43
Ich habe ja 2 Hunde. Meine Hündin ist unsicher und mein Rüde strotzt nur so vor Selbstbewusstsein und war schon als Welpe der Auffassung, dass er keinen Mensch zum überleben braucht. Wenn ich mit beiden ohne Leine spazieren gehe, dann entfernt sich meine Hündin sehr selten von mir. Mein Rüde hingegen läuft weiter voraus und macht sein Ding, aber er schaut sehr oft zu mir rüber (alle 7 - 10 Sekunden). Bleibe ich stehen, lässt er alles stehen und liegen und kommt von sich aus zu mir zurück. Das verstehe ich unter Orientierung und zeigt mir, dass er nicht ohne mich weitergehen möchte (es ist intrinsisch motiviert, aber warum, kann ich nicht sagen. Ich denke mal aus seinem Sozialbedürfnis heraus). Natürlich gibt es in einem Hundeleben auch noch andere schöne Dinge 😉 und es spricht ja gar nichts dagegen, dass Hunde diesen in einem bestimmten Rahmen (schon alleine aus Sicherheitsgründen) nachgehen können, aber dennoch stehen m. E. die Grundbedürfnisse drüber. Und wenn man diese unterstützt, also das Sicherheitsbedürfnis (bei meiner Hündin mehr als bei meinem Rüden), Sozialbedürfnis (bei beiden gleich nur unterschiedlich sichtbar), Nahrung (bei meinem Rüden stark ausgeprägt 🤣), Entspannung/Ruhe (Hunde schlafen und dösen auch sehr gerne) ... , dann hat für mich ein Hund keinen Grund, sich von seinem Sozialpartner fernzuhalten. Kleines Beispiel: Mein Rüde hat eine Individualdistanz zu mir von ca. 20 Metern. Sieht er mich nicht mehr, kommt er sofort zurück und verringert danach seine Distanz merklich. Jetzt könnte man noch anbringen, dass er mich möglicherweise hütet, aber das kann ich definitiv ausschließen. Ich habe viel Bindungsarbeit auf der Basis von Befriedigung der Grundbedürfnissen gemacht (kuscheln, gemeinsam spielen, ernähren, ruhen/schlafen lassen, gemeinsam arbeiten (sind ja Arbeitslinien), aber auch meine Hunde Hund sein lassen. Nur weil sie weiter weg sind und sich andersweitig beschäftigen, bedeutet es ja nicht, dass die Bindung dann schwächer wird. Sie wissen wo sie hingehören. Ich kann das leider nicht besser erklären.
Ja schön, hier ebenso.

Das ist aber noch lange keine Leinenführigkeit und keine intrinsische Entscheidung, jedes Häschen und jedes läufige Mädel wegen mir links liegen zu lassen.

Wie würdest du das herausarbeiten?
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 09:10
Ah...laut Bedürfnispyramide sind aber die physiologischen Bedürfnisse (auch wenn sie unten stehen) prioritär. Unter die fällt auch Sex und wohl auch sowas "instinktives" wie die Jagdmotivationen. Um so mehr ist due Frage relevant, warum die Orientierung am Menschen das intrinsisch "übertrumpfen" sollte? Und eben auch, warum ein Hund sich unsicher fühlen sollte, wenn er dafür den direkten Umkreis des Menschen verlässt?
Jagdverhalten bei modernen Haushunden lässt sich in der Maslowschen Bedürfnispyramide nicht mehr primär den physiologischen Bedürfnissen zuordnen, da es selten mit Hunger oder dem Überlebensinstinkt verknüpft ist. Vielmehr gehört es in die Ebene der Ich-Bedürfnisse, da das Ausführen des Jagdverhaltens, wie etwa Hetzen oder Fixieren, selbstbelohnend wirkt und dem Hund ein Gefühl von Erfolg und Kompetenz vermittelt.
Jagdverhalten ist heute also eher ein Ausdruck von Instinkt, Freude und Selbstbestätigung als ein Mittel zum Überleben.
Entsprechend ist Sicherheit und Orientierung vorgelagert.
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 09:14
Das verstehe ich vom Prinzip her schon und dass mein Hund, wenn unsere Beziehung soweit ok ist, sich grundsätzlich in einem gewissen Radius rund um mich aufhalten und immer wieder kurz mit mir Rücksprache halten will, ergibt sich durchaus ohne großartiges Training. Warum er aber von sich aus das Bedürfnis haben sollte, in einem engen Leinenradius neben mir zu bleiben, jeden Schritt quasi synchron mit mir zu machen und sich nicht zu anderen Reizen hinbewegen zu wollen, das erschließt sich mir nicht recht. Könntest du das vielleicht genauer erklären, in wie weit ein derart ausgeprägtes Sicherheits- und Orientierungsbedürfnis auch für einen erwachsenen Hund ein inneres Bedürfnis sein und warum er es besser als mehr Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit finden soll.
Ein Hund bleibt in stressarmen Kontexten bei seinem Menschen nicht, weil er immer Orientierung oder Sicherheit braucht, sondern weil die Nähe durch positive Erfahrungen und die soziale Bindung zu einer natürlichen Gewohnheit geworden ist. Bewegungsfreiheit und Nähe schließen sich dabei nicht aus – der Hund kann situativ entscheiden, was sich für ihn richtig anfühlt. In stressfreien Momenten bedeutet Nähe oft einfach Bequemlichkeit, Verlässlichkeit oder soziale Verbindung, ohne dass sie aktiv „notwendig“ sein muss.
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 09:39
Ein Hund bleibt in stressarmen Kontexten bei seinem Menschen nicht, weil er immer Orientierung oder Sicherheit braucht, sondern weil die Nähe durch positive Erfahrungen und die soziale Bindung zu einer natürlichen Gewohnheit geworden ist. Bewegungsfreiheit und Nähe schließen sich dabei nicht aus – der Hund kann situativ entscheiden, was sich für ihn richtig anfühlt. In stressfreien Momenten bedeutet Nähe oft einfach Bequemlichkeit, Verlässlichkeit oder soziale Verbindung, ohne dass sie aktiv „notwendig“ sein muss.
Ist nach aussen gewandtes Interesse mit Stress gleichzusetzen?

Welche positiven Erfahrungen? Ich dachte situativ im intrinsischen Training dürfen keine positiven Rückmeldungen kommen?

Gerade beim sicheren Bindungstyp wäre doch aber die Motivation zur Exploration und damit zum sich weiter Entfernen stärker ausgeprägt, oder nicht? Dementsprechend wäre sichere Bindung in Bezug auf direkt beim Menschen Bleiben eher kontraproduktiv...?

Wenn der Hund auch langfristig selbst jedesmal situativ entscheiden darf, die baut man dann die Verlässlichkeit auf, dass er sich nicht häufig für's Entfernen entscheidet?


Wie gesagt, ich hab nix gegen Habituation und Desensibilisierung, ganz im Gegenteil.

Wie man sich aber über keine Rückmeldung im Training und keinerlei "Kommandos" bzw Lenkmöglichkeiten für konkrete Situationen, rein im Gottvertrauen auf des Hundes "richtige" Entscheidung, in Gebieten mit hohem Gefahren- und Ablenkungspotential sicher bewegen soll, seh ich in der Praxis nicht recht.

Konkretes Szenario - Freilauf in Grüngebiet mit vielen Hunden, Joggern, Radfahrern, ev auch mal ein anderes Tier.

Wie schafft man es, dass der eigene Hund intrinsisch nie oder nur wenn es mit passt auf etwas davon reagiert, zu etwas hinläuft?
 
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SandrA
18. Dez. 09:51
Warum ist Orientierung am Menschen dem Hungestillen oder Jagen übergeordnet?
Übergeordnet im Sinne von nicht unmittelbar als Bedürfnis priorisiert. Quasi erst Zwischenziele betrachten/berücksichtigen, die im Alltag des Hundes erstmal mehr Bedeutung haben. (Einbezug der individuellen Lebenswirklichkeit des Hundes)
 
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SandrA
18. Dez. 09:58
Jagdverhalten bei modernen Haushunden lässt sich in der Maslowschen Bedürfnispyramide nicht mehr primär den physiologischen Bedürfnissen zuordnen, da es selten mit Hunger oder dem Überlebensinstinkt verknüpft ist. Vielmehr gehört es in die Ebene der Ich-Bedürfnisse, da das Ausführen des Jagdverhaltens, wie etwa Hetzen oder Fixieren, selbstbelohnend wirkt und dem Hund ein Gefühl von Erfolg und Kompetenz vermittelt. Jagdverhalten ist heute also eher ein Ausdruck von Instinkt, Freude und Selbstbestätigung als ein Mittel zum Überleben. Entsprechend ist Sicherheit und Orientierung vorgelagert.
Ich will da jetzt kein Riesenfass aufmachen, aber eine geläufige Kritik an der Maslowschen BP ist die mangelnde Berücksichtigung der individuellen Lebenswirklichkeit.
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 10:05
Ich will da jetzt kein Riesenfass aufmachen, aber eine geläufige Kritik an der Maslowschen BP ist die mangelnde Berücksichtigung der individuellen Lebenswirklichkeit.
Es ist vollkommen richtig, dass die Maslowsche Bedürfnispyramide nicht alle individuellen Lebensrealitäten vollständig abbilden kann. Das Modell ist nicht dazu gedacht, jeden Kontext perfekt zu erklären, sondern vielmehr, um eine grundlegende Orientierung zu bieten.

Allerdings bedeutet diese Kritik nicht, dass die Pyramide in ihrer Kernaussage irrelevant ist. Die grundsätzliche Idee, dass physiologische und Sicherheitsbedürfnisse oft die Grundlage für höherwertige Bedürfnisse bilden, hat sich in vielen Bereichen der Psychologie und Verhaltensforschung bewährt.
 
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SandrA
18. Dez. 10:11
Es ist vollkommen richtig, dass die Maslowsche Bedürfnispyramide nicht alle individuellen Lebensrealitäten vollständig abbilden kann. Das Modell ist nicht dazu gedacht, jeden Kontext perfekt zu erklären, sondern vielmehr, um eine grundlegende Orientierung zu bieten. Allerdings bedeutet diese Kritik nicht, dass die Pyramide in ihrer Kernaussage irrelevant ist. Die grundsätzliche Idee, dass physiologische und Sicherheitsbedürfnisse oft die Grundlage für höherwertige Bedürfnisse bilden, hat sich in vielen Bereichen der Psychologie und Verhaltensforschung bewährt.
Ja, das ist richtig. Mir ging es mit dem Verweis auf den Kritikpunkt auch nicht darum, ihre wissenschaftliche Relevanz zu schmälern. Sondern auf eine Berücksichtigung der Kritik hinsichtlich ihres praktischen Nutzens im Kontext Hundeerziehung hinzuweisen.
 
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Dogorama-Mitglied
18. Dez. 10:17
Übergeordnet im Sinne von nicht unmittelbar als Bedürfnis priorisiert. Quasi erst Zwischenziele betrachten/berücksichtigen, die im Alltag des Hundes erstmal mehr Bedeutung haben. (Einbezug der individuellen Lebenswirklichkeit des Hundes)
Ah ja, siehst du da gibt's auch immer wieder Begriffsverwirrungen.

Ich hatte übergeordnet im Sinne von "wichtiger" verstanden.