Ok, dann ist das wohl wirklich nicht für jede Situation geeignet.
Leinenführigkeit ist ja zumindest bei heranwachsenden Hunden auch nicht so ein fixes Ding.
Guinness zB geht grundsätzlich voll ok an der Leine, wenn er aber aufgeregt ist oder was sehr Spannendes sieht oder riecht, zieht er auch mal.
Ich bin jedenfalls schon der Grundannahme gegenüber skeptisch, dass Hunde immer Sicherheit und Orientierung durch den Menschen ihren eigenen Interessen vorziehen würden.
Hunde können problemlos ohne Menschen leben und Entscheidungen treffen und auch wenn die, die von Welpe an mit Menschen leben, sicherlich enge Verbindungen zu uns eingehen, heisst das ja nicht, dass sie von sich aus nur untätig neben uns stehen und auf unsere Bewegungen und Entscheidungen warten wollen.
Das sieht man doch auch im Freilauf, dass Hund mal hier, mal dort hin geht und nicht immer im 2 Meterradius neben mir kleben will.
Eigenständigkeit ist doch ebenso ein intrinsisches Bedürfnis, das auch schön und wünschenswert ist, dem angeblichen intrinsischen Orientierungsbedürfnis aber schon irgendwie entgegen steht.
Und dort, wo viele konkrete Benimm- und Sicherheitsregeln zu befolgen sind, kann ich da warten, welches die Oberhand gewinnen wird?
🤔
Ein Punkt, der hier vielleicht noch nicht ganz klar ist: Leinenführung und Beobachtungsübungen sind bei mir getrennte Bausteine. Die Leinenführung baue ich bewusst in reizarmen Umgebungen auf, damit der Hund das Konzept ohne Ablenkung verinnerlichen kann. Wenn die Basis sitzt, übertrage ich das Ganze durch kontextbezogenes Lernen in den Alltag, wo es Schritt für Schritt an schweren Reizen gefestigt wird. Das bedeutet nicht, dass die Leinenführung weniger alltagstauglich ist – im Gegenteil: Ich nutze genau das, was mir im Alltag begegnet, und ermögliche dem Hund so, in verschiedensten Situationen souverän und eigenständig zu agieren.
Der wichtige Punkt dabei ist, dass die Orientierung des Hundes an mir nicht durch Druck oder Stress oder Leckerlies entsteht. Es geht nicht darum, dass der Hund nur dann zu mir schaut oder sich an mir orientiert, wenn die Situation schwierig oder unangenehm für ihn ist. Er entscheidet sich für die Orientierung an mir, weil diese Verbindung für ihn sinnvoll und angenehm ist. Das kann der Fall sein, weil gemeinsames Gehen sich harmonisch anfühlt, weil es ihm Sicherheit vermittelt oder weil er die Erfahrung gemacht hat, dass er sich bei mir wohlfühlen kann. Es ist also eine freiwillige Entscheidung, die auf Vertrauen und positiven Lernerfahrungen basiert.
Das bedeutet auch, dass der Hund in reizarmen Momenten die Wahl hat: Er könnte eigenständig etwas erkunden oder sich an mir orientieren – beides ist möglich und legitim. Der Punkt ist, dass die Orientierung nicht durch äußeren Druck, sondern durch gemeinsame positive Erlebnisse und Erfahrungen entsteht. Dadurch bleibt der Hund in seiner Eigenständigkeit gestärkt, entscheidet sich aber freiwillig für die Zusammenarbeit.
Für mich ist das der Kern der Leinenführigkeit: Es geht nicht darum, den Hund durch Regeln oder Kontrolle einzuschränken, sondern ihm zu zeigen, dass die Orientierung am Menschen etwas Gutes ist, das sich für ihn lohnt – nicht durch Leckerchen oder äußere Einwirkung, sondern weil es für ihn im Alltag sinnvoll wird. In der Praxis zeigt sich dann, dass der Hund diese Orientierung gerne mitbringt, egal ob die Situation ruhig oder anspruchsvoll ist. Gleichzeitig bleibt immer Raum für Eigenständigkeit, weil der Hund eben nicht nur passiv neben mir klebt, sondern sich bewusst für die Zusammenarbeit entscheidet.
Es ist also eine Entscheidung innerhalb der Eigenständigkeit des Hundes.