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Dogorama-Mitglied
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zuletzt 21. Dez.

Intrinsische Motivation - Leinenführigkeit?

Hallo liebe Hundemenschen, Ich bin durch einen anderen Thread darauf gestoßen, dass man Leinenführigkeit mittels intrinsischer Motivation beibringen kann. Intrinsische Motivation bedeutet das es der Hund von sich aus macht, es macht ihm Spaß und führt es für sich bzw. sein Wohlbefinden aus. Also zum Beispiel ist bei meinem Münsterländer das Jagen eine intrinsische Motivation, die ich mir für die Arbeit zunutze mache. Ich trainiere viel mit meinen Hunden und natürlich auch die Leinenführigkeit. In aller Regel machen das meine Hunde aber nicht aus eigener intrinsische Motivation. Jetzt frage ich mich natürlich, was ich die Jahre falsch gemacht habe, dass meine Hunde anscheinend nicht aus intrinsischer Motivation neben mir her spazieren. Habt ihr eine Idee wie man das aufbaut, dass er Hund das aus intrinsischer Motivation macht? Ist dies überhaupt möglich?
 
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Sigi
12. Dez. 23:28
Ich versuche es mal zu erklären. Als Beispiel fällt mir meine Hündin ein: Sie ist passionierte Jägerin und wurde auch zur Jagd genutzt bevor sie zu uns kam. Sprich: jagen war und ist das absolut größte für sie. Wir halten Hühner und die wollte sie gern zu ihrer Beute umwidmen. Sie wusste aber recht schnell, dass wir das echt kacke finden, wenn sie Ihr Jagdverhalten in Gegenwart der Hühner zeigt. Vorteilhaft war, sie reagiert hochsensibel auf meine Stimmung und meine Emotionen ihr gegenüber. Also war da ja eine gute Trainingsbasis und lange Zeit war auch alles gut. Sie wurde eben konditioniert; positiv verstärkt, belohnt, wenn sie brav am Gehege vorbeiging und kein Interesse an den Hühnern zeigte. Training eben. Und so zogen Wochen und Monate ohne besondere Vorkommnisse ins Land…. Es kam irgendwann Tag x an dem die doofe Kuh sich hinterrücks aus dem Haus schlich, den Zaun übersprang und sich ein Huhn schnappte. Das Huhn hat’s nicht überlebt und die Trulla nur, weil ich nen vollen Staubsaugerbeutel in der Hand hielt und kein Gartengerät als ich sie erwischt hab. Ok, Training allein reichte wohl doch nicht. Da musste was anderes her…etwas das nachhaltiger wirkt (ausser Gartengeräte). Ich habe es dann tatsächlich damals in etwa so aufgebaut, wie Maike es beschrieben hat. Es dauerte Monate. Wir sind täglich zusammen zu den Hühnern; der Abstand zum Gehege immer so weit, wie sie entspannen konnte. Und ja, die zu frühe Annäherung löste Stress aus: bei ihr vor allem Zittern und fiepen. Das war in dem Augenblick für sie kein per Se negatives Gefühl, wie Angst, sondern Geilheit auf das Federvieh, Vorbereitung auf den großen Spaß und das große Fressen; aber dieser Stress war für sie offenbar trotzdem unangenehmer als die Entspannung und Ruhe bei größer werdendem Abstand. Ihre Handlungen (eben nicht Jagdverhalten) in dieser Zeit und Stimmung wurden als zielführend und wirksam erlebt, also positiv verknüpft. Wie gesagt, wir reden von Monaten, die von außen betrachtet stinklangweilig waren😅. Mehr als da stehen beobachten, nachspüren, in Verbindung sein, passiert da auch nicht. Aber am Ende (ca 4 -6 Monate würd ich sagen) des Prozesses, lag sie entspannt mitten zwischen den Hühnern; die nichtmal mehr im Gehege waren. Bis heute (10 Jahre später) ist kein Huhn mehr wegen Joona Richtung Regenbogen marschiert. Ich kann sie draußen alleine lassen mit den freien Damen; sie rennt zwischen ihnen herum, spielt mit dem Rüden; und nur dem Rüden, selbst wenn hühnerseits wild geflattert und gezetert wird. Sie zeigt kein Jagdverhalten mehr gegenüber dem Federvieh, sondern priorisiert andere Handlungen, wie Spielen, rumschnüffeln, sonnenbaden whatever. Und das ohne Kontrolle durch uns.
Hast Du das auch schon bei fremden Hühnern ( also an einem anderen Ort) getestet?
 
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SandrA
13. Dez. 05:52
Verstehe...hat sie sich das hinter dich Stellen quasi selbst ausgedacht oder hattet ihr das schon davor in anderen Situationen in Gebrauch? Ich kann mir bei Guinness schwer vorstellen, dass er das von selbst wählen würde...
Sie hat das Verhalten von sich aus gezeigt. Wir haben das nie geübt. Sie kam nicht sofort; das hat schon etwas gedauert. Es gab auch Abstufungen; erst dreht sie um, nachdem sie schon gebibbert hat. Nach und nach fuhr sie aber auch schon rum, wenn nur die Nasenflügel aufgebläht waren.
Es schien von Beginn an ein Lösungsversuch für sie zu sein, mal die Olle anzufragen und das hat ihr Entspannung, Ruhe und Wohlfühlen eingebracht. Ihre Handlungen standen dann in diesem Kontext und in diesem Gefühl.
Ich hab auf sie reagiert und es entstand eine Wechselseitigkeit ohne Kommandos.
 
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SandrA
13. Dez. 05:58
Hast Du das auch schon bei fremden Hühnern ( also an einem anderen Ort) getestet?
Tatsächlich reagiert sie auf Hühner allgemein nicht mehr so stark. Aber sie unterscheidet auch mittlerweile zwischen Haustieren und Wildtieren und dabei sogar zwischen „richtig wild“ und Gehegetieren. Die findet sie zwar spannend, aber bei Wildtieren löst sie wirklich aus; das ging anfangs soweit, dass sie bei Wildnähe (Geruch reichte) Leine und Geschirr durchbeißen wollte; teilweise auch erfolgreich. Wir sind oft mit ihr in Tierparks gewesen; da zeigt sie sowas nicht.
 
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Sigi
13. Dez. 07:15
Tatsächlich reagiert sie auf Hühner allgemein nicht mehr so stark. Aber sie unterscheidet auch mittlerweile zwischen Haustieren und Wildtieren und dabei sogar zwischen „richtig wild“ und Gehegetieren. Die findet sie zwar spannend, aber bei Wildtieren löst sie wirklich aus; das ging anfangs soweit, dass sie bei Wildnähe (Geruch reichte) Leine und Geschirr durchbeißen wollte; teilweise auch erfolgreich. Wir sind oft mit ihr in Tierparks gewesen; da zeigt sie sowas nicht.
Danke für deine Antwort, das hat mich interessiert.
 
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Dogorama-Mitglied
13. Dez. 08:42
Sie hat das Verhalten von sich aus gezeigt. Wir haben das nie geübt. Sie kam nicht sofort; das hat schon etwas gedauert. Es gab auch Abstufungen; erst dreht sie um, nachdem sie schon gebibbert hat. Nach und nach fuhr sie aber auch schon rum, wenn nur die Nasenflügel aufgebläht waren. Es schien von Beginn an ein Lösungsversuch für sie zu sein, mal die Olle anzufragen und das hat ihr Entspannung, Ruhe und Wohlfühlen eingebracht. Ihre Handlungen standen dann in diesem Kontext und in diesem Gefühl. Ich hab auf sie reagiert und es entstand eine Wechselseitigkeit ohne Kommandos.
Das ist wirklich ein schöner Lösungsweg, das werd ich im Kopf behalten.

Wobei ich zumindest im Erregungsniveau einen Unterschied zu dem von Maike Beschriebenen sehe. Da sollte der Hund ja glaub ich garnicht so aufgeregt werden, oder?
 
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Dogorama-Mitglied
13. Dez. 08:46
Tatsächlich reagiert sie auf Hühner allgemein nicht mehr so stark. Aber sie unterscheidet auch mittlerweile zwischen Haustieren und Wildtieren und dabei sogar zwischen „richtig wild“ und Gehegetieren. Die findet sie zwar spannend, aber bei Wildtieren löst sie wirklich aus; das ging anfangs soweit, dass sie bei Wildnähe (Geruch reichte) Leine und Geschirr durchbeißen wollte; teilweise auch erfolgreich. Wir sind oft mit ihr in Tierparks gewesen; da zeigt sie sowas nicht.
Ich denke es steht ohnehin außer Frage, dass Gewöhnung in den meisten Fällen Erfolg hat, sie ist schließlich eine der Grundlagen des Lernens.
Würde das nicht klappen, wären wir ja allesamt überlebensunfähig.
 
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Dogorama-Mitglied
13. Dez. 08:54
Und um einen Gedanken komm ich bei dem Ansatz aber generell nicht rum - in wie weit wird die Beschränkung seiner Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit vom Hund womöglich als unangenehm bzw frustrierend erlebt?
Bzw wenn in der Idealversion vielleicht nicht, ab welcher Nuance von Erregung wird sie es?
Und wie sieht es bei der Distanzvergrösserung aus, die imho ja dann schon gegen die eigentliche Motivation des Hundes läuft?

Das ist jetzt wieder eher theoretisch gedacht, aber für mich für das Verständnis dessen, was da genau an Methoden abläuft und worauf man speziell achten muss, schon sehr interessant.

Ich sehe eine ansatzweise Ähnlichkeit zur erlernten Hilflosigkeit, nur in deutlich milderer Ausprägung...
Ich bin versucht, es "erlernte Untätigkeit" nennen...

Kann damit jemand aus lernmethodischer Sicht was anfangen?
Bzw mir auch gerne erklären, was abläuft, wenn es das nicht ist?
 
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SandrA
13. Dez. 09:02
Ich denke es steht ohnehin außer Frage, dass Gewöhnung in den meisten Fällen Erfolg hat, sie ist schließlich eine der Grundlagen des Lernens. Würde das nicht klappen, wären wir ja allesamt überlebensunfähig.
Gewöhnung trifft es aber nicht, find ich. Der Prozess ist viel komplexer.
Ich würde eher sagen, dass sie Selbstregulation gelernt hat,indem Handlungen eingebettet in eine wohlige Atmosphäre mit positiven Emotionen verknüpft oder konnotiert wurden.
Meine Hündin wurde nicht desensibilisiert, sondern sie erlernte neue Umgangsformen mit den Hühnern.
 
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SandrA
13. Dez. 09:04
Und um einen Gedanken komm ich bei dem Ansatz aber generell nicht rum - in wie weit wird die Beschränkung seiner Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit vom Hund womöglich als unangenehm bzw frustrierend erlebt? Bzw wenn in der Idealversion vielleicht nicht, ab welcher Nuance von Erregung wird sie es? Und wie sieht es bei der Distanzvergrösserung aus, die imho ja dann schon gegen die eigentliche Motivation des Hundes läuft? Das ist jetzt wieder eher theoretisch gedacht, aber für mich für das Verständnis dessen, was da genau an Methoden abläuft und worauf man speziell achten muss, schon sehr interessant. Ich sehe eine ansatzweise Ähnlichkeit zur erlernten Hilflosigkeit, nur in deutlich milderer Ausprägung... Ich bin versucht, es "erlernte Untätigkeit" nennen... Kann damit jemand aus lernmethodischer Sicht was anfangen? Bzw mir auch gerne erklären, was abläuft, wenn es das nicht ist?
Es ist genau nicht erlernte Hilflosigkeit. Vielmehr erzeugt der Hund mit anfänglicher Unterstützung eine Stimmung in der Lernen überhaupt möglich ist. Der Hund selbst findet Lösungen.

Die Distanzvergrösserung war bei mir ein Angebot, eine Reaktion auf ihr Verhalten/ihre Stimmung. Nicht ein Wegzerren während sie immer erregter wurde. Den Erregungszustand habe ich mit ihr ausgehalten.
 
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Dogorama-Mitglied
13. Dez. 09:19
Gewöhnung trifft es aber nicht, find ich. Der Prozess ist viel komplexer. Ich würde eher sagen, dass sie Selbstregulation gelernt hat,indem Handlungen eingebettet in eine wohlige Atmosphäre mit positiven Emotionen verknüpft oder konnotiert wurden. Meine Hündin wurde nicht desensibilisiert, sondern sie erlernte neue Umgangsformen mit den Hühnern.
Ok...Maike hatte gesagt, es ist vom Lernprinzip her Gewöhnung...

Ich glaube, man muss hier unterscheiden, zwischen den äußeren Bedingungen, die du kreiert hast (wohlig, positiv etc) und den inneren Abläufen im Hund (extrem aufgeregt).
Und wahrscheinlich auch zw der von dir geschaffenen Atmosphäre (wohlig, positiv) und deiner Handlung (einschränkend).

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bedingungen und die Atmosphäre im Laufe der Zeit wohlig und positiv (beruhigend) auf den Hund eingewirkt haben, aber ob er es während des Prozesses durchgängig als wohlig und positiv empfunden hat, in hoher Erregung davon abgehalten zu werden, daß zu tun, was er eigentlich wollte, müsste in Frage gestellt werden dürfen.

Versteh mich nicht falsch, ich kritisiere das nicht, ich bin auch der Meinung, dass im Leben nicht immer Alles stressfrei ablaufen kann.

Ich will nur detaillierter verstehen, um zu wissen, was aus Hundesicht abläuft.
Weil nur weil wir denken, dass etwas rein positiv ist, muss das Gegenüber das nicht genauso empfinden.