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Dogorama-Mitglied
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heute 14:18

"Wege zur Freundschaft" (Ulli Reichmann)

Hallo ihr Lieben :) Ich habe kürzlich o.g. Buch verschlungen und gleich begeistert mit dem dort aufgeführten Training begonnen. Für alle, die es nicht kennen: Es geht darum gemeinsam mit seinem Hund die Welt zu entdecken und Spuren zu suchen etc.. Quasi ein Leitfaden, wie man dem Hund zeigt nicht mehr alleine jagen zu gehen, sondern voller Freude zu kooperieren. Ich bin nun unendlich begeistert, weil erste (auch unerwartete) Erfolge schon in wenigen Tagen sichtbar wurden und wollte nun mal fragen, ob noch jemand inspiriert von diesen Methoden mit seinem Hund die Welt erkundet? Würde mich über einen Erfahrungsaustausch unheimlich freuen! Liebe Grüße
 
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Dogorama-Mitglied
22. Mai 16:20
Ich verstehe deinen Bezug auf klassische Machtdefinitionen wie bei Weber – sie sind historisch wichtig und erklären viele soziale Strukturen. Allerdings hat sich das Verständnis von Macht und Führung in Soziologie, Psychologie und Pädagogik weiterentwickelt. Wie schon gesagt- moderne Ansätze (z. B. systemische Pädagogik, Bindungsforschung, Jesper Juul) sehen Macht nicht nur als Durchsetzung oder Gefälle, sondern auch als Verantwortung, Schutz und Beziehungsgestaltung. Führung kann heute dialogisch, partizipativ und entwicklungsfördernd sein. Meine Position stützt sich auf eben diese aktuellen, wissenschaftlich fundierten Konzepte. Sie zeigen, dass auch in asymmetrischen Beziehungen Kooperation und Mitgestaltung möglich sind. Deine Sicht ist nachvollziehbar, bleibt aber eher beim klassischen, weniger differenzierten Machtbegriff. Ich halte die beziehungsorientierte Perspektive für zeitgemäßer und praxisnäher. Wir können da aber gerne nicht übereinstimmen.
Irgendwie reden wir glaub ich aneinander vorbei - mir scheint, du sprichst von Macht in ihrer klassischen Form von autoritärem Herumkommandieren...?

Wohingegen ich meine, dass Macht(gefälle) schlichtweg allen asymmetrischen Beziehungen innewohnen, auch wenn die noch so viel Dialog und Parzizipation zulassen.

Solange Einer für den Anderen verantwortlich ist und dem Verantwortlichen die letztgültige Entscheidung über den Schutzbefohlenen obliegt, besteht doch ein Machtgefälle, auch wenn Erster dem Zweiten in diesem Rahmen grösstmögliches Mitsprache- und Entscheidungsrecht einräumt...?

Beispiel: Wenn der Lehrer mit der Klasse den Schulausflug plant, kann er die Kinder sehr umfangreich in den Planungsprozess einbinden, ihre Meinung zu möglichen Alternativen einholen, ihre Vorschläge für die Routen aufnehmen, abstimmen lassen in welcher Hütte Pause gemacht wird - und dennoch bleibt er in der Verantwortunsposition, die Parameter der Wahlmöglichkeiten und des Beteiligungsausmasses vorzugeben bzw zu begrenzen und untragbare Vorschläge abzulehnen.
Das konstituiert in meinem Verständnis ein klares Machtgefälle, obwohl respektvoll, partizipativ und wenig autoritär mit den Kindern umgegangen wird.
 
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Kirsten
22. Mai 16:28
Kann es sein, dass sich hier der ein oder andere generell von ihrem Intellekt persönlich angegriffen fühlt? Ich persönlich finde ihre Eloquenz sehr angenehm und lese total gerne, was sie schreibt. Ist aber natürlich alles subjektiv. Fakt ist aber: sie hat mehrfach konkret nachgefragt, wie ihr nach der Ulli-Philosophie in speziellen Situationen reagiert und um eine Beschreibung der Vorgehensweise gebeten. Für Außenstehende wirkt es vermutlich leider objektiv oft sehr romantisiert und schwammig, was hier so erzählt wird. Das heißt aber erstmal trotzdem nicht, dass alles Quatsch ist. Man kann sich aus den meisten Philosophien und Strategien für sich selbst hilfreichen Input ziehen, wenn man offen ist. In der Regel gibt es ja nicht nur einen goldenen und richtigen Weg. Leider wurden ihre Fragen bisher aber nur teilweise bis gar nicht beantwortet. Mich hätte das auch interessiert, einfach des Verständnisses wegen.
Hast du eine ganz konkrete Frage zu einer ganz bestimmten Situation?
Dann könnte ich dir später am Abend beantworten, wie ich das lösen würde, wenn das bei meiner Hündin so wäre.
Für deinen Hund kann ich nicht sprechen, den kenne ich ja gar nicht.
 
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SandrA
22. Mai 16:34
Irgendwie reden wir glaub ich aneinander vorbei - mir scheint, du sprichst von Macht in ihrer klassischen Form von autoritärem Herumkommandieren...? Wohingegen ich meine, dass Macht(gefälle) schlichtweg allen asymmetrischen Beziehungen innewohnen, auch wenn die noch so viel Dialog und Parzizipation zulassen. Solange Einer für den Anderen verantwortlich ist und dem Verantwortlichen die letztgültige Entscheidung über den Schutzbefohlenen obliegt, besteht doch ein Machtgefälle, auch wenn Erster dem Zweiten in diesem Rahmen grösstmögliches Mitsprache- und Entscheidungsrecht einräumt...? Beispiel: Wenn der Lehrer mit der Klasse den Schulausflug plant, kann er die Kinder sehr umfangreich in den Planungsprozess einbinden, ihre Meinung zu möglichen Alternativen einholen, ihre Vorschläge für die Routen aufnehmen, abstimmen lassen in welcher Hütte Pause gemacht wird - und dennoch bleibt er in der Verantwortunsposition, die Parameter der Wahlmöglichkeiten und des Beteiligungsausmasses vorzugeben bzw zu begrenzen und untragbare Vorschläge abzulehnen. Das konstituiert in meinem Verständnis ein klares Machtgefälle, obwohl respektvoll, partizipativ und wenig autoritär mit den Kindern umgegangen wird.
Wir diskutieren keine unterschiedlichen Phänomene, lesen diese aber aus verschiedenen Perspektiven: Für dich scheint Macht primär strukturell, für mich vor allem relational. Das ändert, wie wir Führung, Verantwortung und Handlungsspielraum deuten.

Ja, asymmetrische Beziehungen beinhalten per Definition Verantwortung und Entscheidungsspielräume, das bestreitet niemand. Aber ob das automatisch ein „Machtgefälle“ im klassischen Sinne darstellt – also eines, bei dem einer ordnet und der andere gehorcht – oder ob es sich nicht vielmehr um eine qualitativ andere Form von Verantwortungsübernahme handelt, ist eben genau der Punkt.

Juul beispielsweise unterscheidet sehr klar zwischen Machtausübung und persönlicher Autorität. Letztere gründet nicht in formaler Überlegenheit, sondern in Integrität, Beziehungsfähigkeit und Verantwortung. Sie wirkt durch Orientierung und Verlässlichkeit – auch in asymmetrischen Verhältnissen.

Und genau hier liegt der Unterschied: Ich plädiere nicht für ein „es gibt keine Asymmetrien“, aber für ein anderes Verständnis davon, wie Führung in asymmetrischen Beziehungen aussehen kann – ohne auf ein veraltetes Machtmodell zurückzufallen.

Beispiel: Neo hat klare Grenzen – aber wir gestalten sie miteinander. Wenn er mitentscheiden darf, wie er mit einer Hundebegegnung umgeht, in einem Rahmen, den ich verantworte, ist das keine Machtabgabe, sondern Beziehung auf Augenhöhe – trotz asymmetrischer Verantwortung. Es ist genau das, was Juul „Führung durch Beziehung“ nennt – und was in der Ulli Philosophie ähnlich gedacht wird.

Wenn du unter Machtgefälle einfach die Verantwortung in asymmetrischen Beziehungen meinst, stimme ich dir zu. Wenn du aber daraus ableitest, dass Führung zwangsläufig mit struktureller Dominanz einhergeht – dann halte ich das für eine überholte Zuschreibung.

Nachtrag zu deinem Lehrerbeispiel:

Hier bleibt die formale Asymmetrie bestehen, aber das Erleben der Beziehung wird partnerschaftlicher, fördert Selbstwirksamkeit und Vertrauen, was genau der Kern beziehungsorientierter Führung ist.

Das Machtgefälle ist also strukturell da, aber entscheidend ist, wie es mit Leben gefüllt wird und welche Beziehung daraus entsteht.
 
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Steffi
22. Mai 16:44
Hey, ist das Buch nur für Halter jagdlich motivierter Hunde empfehlenswert?
 
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SandrA
22. Mai 16:55
Hey, ist das Buch nur für Halter jagdlich motivierter Hunde empfehlenswert?
Finde ich durchaus 😅

*nicht! Das ‚nicht’ war mir entfallen seh ich gerade - Ich schließe mich Sonja an - siehe oben 😂
 
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Doro
22. Mai 17:12
Hey, ist das Buch nur für Halter jagdlich motivierter Hunde empfehlenswert?
Ja, würde ich schon sagen.
 
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Dogorama-Mitglied
22. Mai 17:25
Wir diskutieren keine unterschiedlichen Phänomene, lesen diese aber aus verschiedenen Perspektiven: Für dich scheint Macht primär strukturell, für mich vor allem relational. Das ändert, wie wir Führung, Verantwortung und Handlungsspielraum deuten. Ja, asymmetrische Beziehungen beinhalten per Definition Verantwortung und Entscheidungsspielräume, das bestreitet niemand. Aber ob das automatisch ein „Machtgefälle“ im klassischen Sinne darstellt – also eines, bei dem einer ordnet und der andere gehorcht – oder ob es sich nicht vielmehr um eine qualitativ andere Form von Verantwortungsübernahme handelt, ist eben genau der Punkt. Juul beispielsweise unterscheidet sehr klar zwischen Machtausübung und persönlicher Autorität. Letztere gründet nicht in formaler Überlegenheit, sondern in Integrität, Beziehungsfähigkeit und Verantwortung. Sie wirkt durch Orientierung und Verlässlichkeit – auch in asymmetrischen Verhältnissen. Und genau hier liegt der Unterschied: Ich plädiere nicht für ein „es gibt keine Asymmetrien“, aber für ein anderes Verständnis davon, wie Führung in asymmetrischen Beziehungen aussehen kann – ohne auf ein veraltetes Machtmodell zurückzufallen. Beispiel: Neo hat klare Grenzen – aber wir gestalten sie miteinander. Wenn er mitentscheiden darf, wie er mit einer Hundebegegnung umgeht, in einem Rahmen, den ich verantworte, ist das keine Machtabgabe, sondern Beziehung auf Augenhöhe – trotz asymmetrischer Verantwortung. Es ist genau das, was Juul „Führung durch Beziehung“ nennt – und was in der Ulli Philosophie ähnlich gedacht wird. Wenn du unter Machtgefälle einfach die Verantwortung in asymmetrischen Beziehungen meinst, stimme ich dir zu. Wenn du aber daraus ableitest, dass Führung zwangsläufig mit struktureller Dominanz einhergeht – dann halte ich das für eine überholte Zuschreibung. Nachtrag zu deinem Lehrerbeispiel: Hier bleibt die formale Asymmetrie bestehen, aber das Erleben der Beziehung wird partnerschaftlicher, fördert Selbstwirksamkeit und Vertrauen, was genau der Kern beziehungsorientierter Führung ist. Das Machtgefälle ist also strukturell da, aber entscheidend ist, wie es mit Leben gefüllt wird und welche Beziehung daraus entsteht.
Ja, das trifft es wahrscheinlich ziemlich gut, wobei strukturell dann aber auch keine echte "Augenhöhe" gegeben ist, sondern ein sich situativ auf Augenhöhe begeben.

Ich finde diese vermeintliche "Pedanterie" in der Definierung des eigenen Handelns wie gesagt schon von Bedeutung, um blinde Flecken und unbewusste Widersprüchlichkeiten in der Kommunikation zu vermeiden.

Für mich ist es beziehungstechnisch und in der Aufgabenstellung schon was deutlich Anderes, ob ich mich als wohlwollenden, fördernden, um Verständnis und Kooperation bemühten Verantwortlichen positioniere oder als Kumpel eines selbstverantwortlichen Individuums.
 
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SandrA
22. Mai 18:27
Ja, das trifft es wahrscheinlich ziemlich gut, wobei strukturell dann aber auch keine echte "Augenhöhe" gegeben ist, sondern ein sich situativ auf Augenhöhe begeben. Ich finde diese vermeintliche "Pedanterie" in der Definierung des eigenen Handelns wie gesagt schon von Bedeutung, um blinde Flecken und unbewusste Widersprüchlichkeiten in der Kommunikation zu vermeiden. Für mich ist es beziehungstechnisch und in der Aufgabenstellung schon was deutlich Anderes, ob ich mich als wohlwollenden, fördernden, um Verständnis und Kooperation bemühten Verantwortlichen positioniere oder als Kumpel eines selbstverantwortlichen Individuums.
Insofern fände ich es tatsächlich sinnvoll, wenn du dir das Buch (oder die Texte) von Ulli Reichmann mal ansiehst – einfach, um auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Gedanken weiterdiskutieren zu können. Vieles, was du hier kritisch hinterfragst, wird dort differenziert eingeordnet – gerade im Hinblick auf Verantwortung, Beziehung und Führung.

Das würde aus meiner Sicht nicht nur mehr Klarheit schaffen, sondern auch ermöglichen, die Diskussion auf einer gemeinsamen inhaltlichen Basis differenzierter fortzusetzen.
 
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Sonja
22. Mai 18:30
Hey, ist das Buch nur für Halter jagdlich motivierter Hunde empfehlenswert?
Finde ich nicht. Es lässt sich der grundsätzliche Umgang mit dem Hund auch auf andere Situationen übertragen.
 
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Kirsten
22. Mai 19:43
Hey, ist das Buch nur für Halter jagdlich motivierter Hunde empfehlenswert?
Bei mir hat sich in der ersten Zeit vor allem etwas in den Hundebegegnungen getan 😄

Ich finds allgemein besonders geeignet für Hunde die sich schnell in Emotionen und übermäßiger Aufregung verlieren. Es ist vieles anhand von Jagdsituationen beschrieben. Über den „Umweg“ vom Jagen haben ich überhaupt erst richtig verstanden wie schade es ist, wenn der eigene Hund so un- bzw. missverstanden wird. Schließlich war ich ja immer sehr konsequent und trainingswillig und wir sind trotzdem (oder gerade deswegen) nicht vorangekommen.
Wie sehr meine Hündin trotz selbstständigem Charakter gerne jemand an der Seite hätte, der Dinge mit ihr tut und durchsteht. Zuvor habe ich oft nur gesehen, was sie alles vermeintlich nicht mit mir tun möchte.

Wobei, wenn ich so überlege. Hmm. Gerade den Hunden, die dazu neigen sich zurückzuziehen, den täte wohl eigentlich auch ganz besonders jemand gut der fragt „Wer bist du eigentlich und was magst du?“