Ja, genau. Ich habe jetzt auch nur von der Situation gesprochen, wenn man schon mitten in der Eskalation steckt. Es gibt 1000 Situationen und man muss für sich den Weg finden und gehen, der zum Ziel führt. Es kommt immer darauf an, was ICH als Endbild haben möchte. Ich finde mich ungern mit der Lösung ab:" Mein Hund muss es nur aushalten können." Ich möchte, dass mein Hund versteht und von sich aus eine Lösung anbietet. Dafür brauche ich aber seinen Lösungsweg bzw. schau mir an, wie ER Konflikte löst.
Newton war an der Leine sehr reaktiv in seiner Pubertät. Vorher war alles super. Ich habe alles "Handelsübliche" ausprobiert, aber auf das Naheliegendste bin ich erst gekommen, als ich mir sein Verhalten kurz vor Hundebegegnungen angeschaut habe. Ich habe mich gefragt, warum habe ich sein Schnuppern immer unterbrochen? Genau, wir müssen nach den gesellschaftlichen Vorstellungen vorbildlich dran vorbeigehen. OMG, wie egoistisch von mir. Also habe ich sein Schnuppern nicht mehr unterbunden und siehe da, keine Reaktion mehr an der Leine. Es war SEIN natürliches Verhalten. Sich abwenden und Stress übers Schnuppern abbauen. Das braucht er heute nicht mehr.
Dann habe ich mir angeschaut, was er für ein Typ ist, sich ankündigende Konflikte bei anderen Hunden, zu regeln. Er läuft mit weichem Körper zwischen die Streithähne, unterbricht also die Situation und wartet ab, ob das schon ausreicht. Liegt noch immer ein Knistern in der Luft, eröffnet er einen Konflikt mit dem, der den Streit proviziert und maßregelt diesen. Aber nicht mit geplärre, sondern für diesen Hund angemessen. Leichte Warnungen bishin zu passiver Demut zeigen lassen. Was es eben braucht, um den Konflikt der Streithähne zu lösen. Alles passiert IN der Situation.
Fühlt er sich nicht verantwortlich, dann bleibt er aus der Situation raus und macht sein Ding.
Sein Verhalten bei den beiden Streithähnen habe ich in unsere Erzfeindsituationen übernommen. Situation entspannt unterbrechen, indem ich mich dazwischen stelle. Ihn beobachten, schauen ob das reicht und wenn nicht, dann eröffne ich den Konflikt und fordere seine Aufmerksamkeit ein, aber ohne Druck und schaue dann, was es braucht. Mehr Druck, weniger Druck, braucht es auch mal ein Demutsverhalten ...
Ich versuche hier in den Threads immer nur meine Erfahrungen weiterzugeben. Was man daraus macht oder ob es zu einem passt, ist jedem selber überlassen. Vielleicht eröffnet es einen anderen Blickwinkel oder führt eine zündende Idee herbei, oder man findet es blöd, nicht für sich geeignet ...
Finde ich super spannend, Deinen Blickwinkel☺️
Besonders den Impuls der gemeinsamen Situationsbewältigung und den, das Ziel, das man verfolgt, klar vor Augen zu haben. Immerhin beeinflusst dies ja auch die Gestaltung der konkreten Trainingsmaßnahmen.
Bei mir stand zu Beginn tatsächlich die Beziehungsgestaltung im Zusammenhang mit Stressmanagement im Fokus.
Mein Ziel war es, dass Neo bei hohem Stresslevel (und er geriet völlig außer sich) meine Anwesenheit als entstressend erfährt und ich in meiner Führungsrolle anerkannt und gestärkt werde.
Das bedeutete für mich anfangs - solange unsere Beziehung noch nicht stabil war - allerdings ihn auf Abstand zu auslösenden Reizen zu bringen - aber wichtig, wie Du auch geschrieben hast: dabei im Kontakt mit ihm zu bleiben.
Meine Idee war, dass ich ihn durch Stresserleben hindurch begleite und ihn in Überforderungssitustionen nicht alleine lasse. Sobald er nach Eskalationen wieder ansprechbar war, unterbreitete ich ihm Angebote zur weiteren Entspannung. Die Angebote basierten tatsächlich auch darauf, was ich durch Beobachtungen über Neo’s Verhalten erfahren habe - was tut er von sich aus, um Stress abzubauen? Wie verhält er sich vor und nach stressigen Situationen?
Es ist total hilfreich für ihn, wenn nach Anspannung proaktiv für Entspannung gesorgt wird - eine kurze Freigabe etwa, die er dankbar nutzt, um Stress weiter abzubauen: schütteln, wälzen, kurzes Rennspiel mit wilden Lautäusserungen etc.
Er bleibt dabei von sich aus in Kontakt und interagiert mit mir und so blöd es klingt, ich habe dabei immer das Gefühl, dass er sich total verstanden und abgeholt fühlt - was unsere Beziehung stark gefördert hat.
Manchmal genügt ihm auch Körperkontakt zur weiteren Beruhigung, denn dadurch, dass er es zigfach erfahren hat, hat er Stressminderung und -bewältigung mit meiner Anwesenheit, Kontakt und Nähe verknüpft.
Parallel arbeiten wir daran, dass er sicherer in hündischer Kommunikation wird. Das wirkt sich auch nochmal entspannend auf sein generelles Verhalten - auch an der Leine aus. Mittlerweile eskaliert er einfach nicht mehr derart, dass er völlig aus dem Kontakt fällt und wenn, was wirklich selten ist, sind das kurze Momente.
Somit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, dass wir Feindbegegnungen auch ohne den Abstand zu vergrößern, meistern können. Aber es war ein Weg bis dahin und zu Beginn (zumindest für mich) tatsächlich nicht möglich.