Ich glaube, Baumanns Aussage „Aggression ist kein Verhalten“ lässt sich am ehesten als eine therapeutisch gemeinte Perspektivverschiebung verstehen – nicht als definitorischer Widerspruch zur Verhaltensbiologie. Es geht ihm, soweit ich das verstehe, nicht darum, dass es keine aggressiven Handlungen gibt oder dass man sie nicht beobachten könnte, sondern darum, Aggression als inneren Zustand vom sichtbaren Verhalten zu trennen.
Wenn ein Hund knurrt, schnappt oder angreift, dann ist das sichtbares Verhalten. Aber Baumann richtet den Fokus darauf, was innerlich vorgeht, bevor dieses Verhalten sichtbar wird: Erregung, Kontrollverlust, emotionale Überforderung, bestimmte Emotionssysteme, dysfunktionale Muster. Seine Aggressionsskala ist ja gerade der Versuch, diese innere Dynamik zu systematisieren – operant oder emotional, konstruktiv oder destruktiv, offensiv oder defensiv.
In diesem Sinn würde ich sagen, dass Aggression im engeren Sinne für ihn eher ein energetisch-affektiver Zustand ist, der sich dann im Verhalten ausdrückt – aber nicht mit als diesem gleichgesetzt betrachtet wird. Das ist aus einer therapeutisch-systemischen Sicht durchaus sinnvoll, weil man dann nicht an der Oberfläche interveniert, sondern an den Motiven, Mustern und inneren Spannungen.
Natürlich steht das in Spannung zur funktional-beobachtenden Sichtweise, in der Aggression eine klar definierte Kategorie beobachtbaren Verhaltens ist. Aber ich sehe das eher als unterschiedliche Zugänge zu einem komplexen Phänomen – nicht als Widerspruch, sondern als Perspektivwechsel, je nachdem, ob man mit einem Hund (und Halter) therapeutisch arbeiten oder Verhalten klassifizieren möchte.
Ich denke auch, dass Baumanns Formulierung etwas missverständlich ist. „Aggression ist kein Verhalten“ wirkt ohne Kontext irreführend – auch wenn er inhaltlich vermutlich eben auf die Unterscheidung zwischen innerem Zustand und äußerem Verhalten hinauswill.