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Jörg
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Anzahl der Antworten 310
zuletzt 12. Juli

Aggression beim Hund.

Nur mal so für die Menschen die immer schreiben das es immer am Halter liegt wenn ein Hund Aggression zeigt. https://youtube.com/shorts/-ZKH5FgyxjE?si=-1TvRrOs3h6rjmCN Was sagt ihr dazu und welcher Meinung habt ihr zu dem Thema Agresion. Das ganze ist ein schwieriges Thema daher bitte bleibt freundlich.
 
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Susa
29. Juni 06:36
Um bei Baumann zu bleiben ja, es wäre schon Aggression. Aber im unproblematischen Bereich, also konstruktiv (keine Beschädigungsabsicht) und ich nehme an du gehst davon aus, dass der Hund angegangen wird, dann auch defensiv (also verteidigend). Unproblematische Aggression ist defensiv (verteidigend), konstruktiv (keine Beschädigung) und operant (der Hund agiert bewusst/strategisch). Problematische Aggression ist offensiv (angreifend), destruktiv (Beschädigung) und emotional (Hund agiert durch starke Gefühle/Stress belastet). Und bei deinem letzten Absatz stimme ich dir zu. Was ich auch interessant fand war, dass Baumann auf den Lustfaktor und die Transition von defensiv zu offensiv eingegangen ist. Das ist so ein bisschen ein Tabu und darüber wird nicht gerne gesprochen. Ich habe ein sehr beeindruckendes Demonstrationsvideo gesehen. Da ist ein junger Malinois von einem bedrohlichen Mann provoziert worden und hat unsicher/defensiv aggressiv reagiert. Der Mann hat immer provoziert und ist wenn der Mali nach vorne ist zurück gewichen. Nach 3 oder 4 Wiederholungen war der Mali überhaupt nicht mehr unsicher und hat offensiv aggressiv auf den Mann reagiert. Und nach 7 Wiederholung saß der Mann nur da (nicht angeschaut, nicht bewegt) und der Mali hat ihn richtig gesucht und hat volle, offensive Aggression gezeigt. Der war richtig "geil" darauf und hat nach Möglichkeiten gesucht das Verhalten auszuüben, ohne das sein Ziel ihm Anlass gegeben hat. Dass das so schnell gehen kann ist schon krass. Da spielt die Rasse und Genetik natürlich auch wieder rein, aber grundsätzlich kann das bei jedem Hund passieren. Wenn er oft genug Erfolg hat und Dopamin ins Spiel kommt, kann früher oder später Lust an Aggressionsverhalten entstehen.
Ich denke auch eine defensive Agression kann problematisch sein, wenn der Hund ständig Sachen als gefährlich einstuft, die nicht gefährlich sind.

zB bei meinem Hund: jemand streckt ihm die Hand entgegen und möchte ihn streicheln. Jemand beugt sich über den Hund und streichelt ihn. Jemand umarmt mich.
Ich verstehe wieso das aus Hundesicht bedrohlich wirkt, weil das zwei Sachen davon sind schnelle, frontale Annäherungen und das drüberbeugen ist bedrängen.
Der Hund will nur sich selbst oder mich verteidigen, also defensiv, aber trotzdem problematisch.
 
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SandrA
29. Juni 06:47
Ich glaube, Baumanns Aussage „Aggression ist kein Verhalten“ lässt sich am ehesten als eine therapeutisch gemeinte Perspektivverschiebung verstehen – nicht als definitorischer Widerspruch zur Verhaltensbiologie. Es geht ihm, soweit ich das verstehe, nicht darum, dass es keine aggressiven Handlungen gibt oder dass man sie nicht beobachten könnte, sondern darum, Aggression als inneren Zustand vom sichtbaren Verhalten zu trennen.

Wenn ein Hund knurrt, schnappt oder angreift, dann ist das sichtbares Verhalten. Aber Baumann richtet den Fokus darauf, was innerlich vorgeht, bevor dieses Verhalten sichtbar wird: Erregung, Kontrollverlust, emotionale Überforderung, bestimmte Emotionssysteme, dysfunktionale Muster. Seine Aggressionsskala ist ja gerade der Versuch, diese innere Dynamik zu systematisieren – operant oder emotional, konstruktiv oder destruktiv, offensiv oder defensiv.

In diesem Sinn würde ich sagen, dass Aggression im engeren Sinne für ihn eher ein energetisch-affektiver Zustand ist, der sich dann im Verhalten ausdrückt – aber nicht mit als diesem gleichgesetzt betrachtet wird. Das ist aus einer therapeutisch-systemischen Sicht durchaus sinnvoll, weil man dann nicht an der Oberfläche interveniert, sondern an den Motiven, Mustern und inneren Spannungen.

Natürlich steht das in Spannung zur funktional-beobachtenden Sichtweise, in der Aggression eine klar definierte Kategorie beobachtbaren Verhaltens ist. Aber ich sehe das eher als unterschiedliche Zugänge zu einem komplexen Phänomen – nicht als Widerspruch, sondern als Perspektivwechsel, je nachdem, ob man mit einem Hund (und Halter) therapeutisch arbeiten oder Verhalten klassifizieren möchte.

Ich denke auch, dass Baumanns Formulierung etwas missverständlich ist. „Aggression ist kein Verhalten“ wirkt ohne Kontext irreführend – auch wenn er inhaltlich vermutlich eben auf die Unterscheidung zwischen innerem Zustand und äußerem Verhalten hinauswill.
 
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Dogorama-Mitglied
29. Juni 06:58
Ich denke auch eine defensive Agression kann problematisch sein, wenn der Hund ständig Sachen als gefährlich einstuft, die nicht gefährlich sind. zB bei meinem Hund: jemand streckt ihm die Hand entgegen und möchte ihn streicheln. Jemand beugt sich über den Hund und streichelt ihn. Jemand umarmt mich. Ich verstehe wieso das aus Hundesicht bedrohlich wirkt, weil das zwei Sachen davon sind schnelle, frontale Annäherungen und das drüberbeugen ist bedrängen. Der Hund will nur sich selbst oder mich verteidigen, also defensiv, aber trotzdem problematisch.
Es wurde eh nie gesagt, dass es automatisch unproblematisch ist, nur weil es defensiv ist.

Als unproblematisch - und das, soweit ich es verstehe auch nur in Hinblick auf das Training - wird die Dreierkonstellation defensiv-konstruktiv-operant kategorisiert.
Da wird nicht nach vorne gehandelt, es ist keine Beschädigungsabsicht dabei und der Hund ist noch mit Hirn dabei und ansprechbar.

Eigentlich heisst das doch auch, dass er auf der Eskalationsleiter ohnehin noch mindestens eine, wenn nicht zwei Stufen unterhalb der ultimativen Eskalation handelt...Oder nicht?
 
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Dogorama-Mitglied
29. Juni 07:08
Ich glaube, Baumanns Aussage „Aggression ist kein Verhalten“ lässt sich am ehesten als eine therapeutisch gemeinte Perspektivverschiebung verstehen – nicht als definitorischer Widerspruch zur Verhaltensbiologie. Es geht ihm, soweit ich das verstehe, nicht darum, dass es keine aggressiven Handlungen gibt oder dass man sie nicht beobachten könnte, sondern darum, Aggression als inneren Zustand vom sichtbaren Verhalten zu trennen. Wenn ein Hund knurrt, schnappt oder angreift, dann ist das sichtbares Verhalten. Aber Baumann richtet den Fokus darauf, was innerlich vorgeht, bevor dieses Verhalten sichtbar wird: Erregung, Kontrollverlust, emotionale Überforderung, bestimmte Emotionssysteme, dysfunktionale Muster. Seine Aggressionsskala ist ja gerade der Versuch, diese innere Dynamik zu systematisieren – operant oder emotional, konstruktiv oder destruktiv, offensiv oder defensiv. In diesem Sinn würde ich sagen, dass Aggression im engeren Sinne für ihn eher ein energetisch-affektiver Zustand ist, der sich dann im Verhalten ausdrückt – aber nicht mit als diesem gleichgesetzt betrachtet wird. Das ist aus einer therapeutisch-systemischen Sicht durchaus sinnvoll, weil man dann nicht an der Oberfläche interveniert, sondern an den Motiven, Mustern und inneren Spannungen. Natürlich steht das in Spannung zur funktional-beobachtenden Sichtweise, in der Aggression eine klar definierte Kategorie beobachtbaren Verhaltens ist. Aber ich sehe das eher als unterschiedliche Zugänge zu einem komplexen Phänomen – nicht als Widerspruch, sondern als Perspektivwechsel, je nachdem, ob man mit einem Hund (und Halter) therapeutisch arbeiten oder Verhalten klassifizieren möchte. Ich denke auch, dass Baumanns Formulierung etwas missverständlich ist. „Aggression ist kein Verhalten“ wirkt ohne Kontext irreführend – auch wenn er inhaltlich vermutlich eben auf die Unterscheidung zwischen innerem Zustand und äußerem Verhalten hinauswill.
Mit dieser Interpretation wirst du wahrscheinlich recht haben.

Ich find es allerdings völlig unnötig, diese Verwirrung überhaupt ins Spiel zu bringen, genauso gut hätte er es bei Aggression ist Handlung belassen und einfach diese verschiedenen Qualitäten/Funktionsweisen von Aggressionsverhalten herausarbeiten können.
 
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Kenai
29. Juni 07:51
Wir haben einen 13 Wochen alten Rottweiler Welpen (w) und sie zeigt meiner Meinung nach Ressourcenaggressionen, wenn sie etwas im Maul hat. Sei es hier Futter, Gegenstände etc. Erst gestern hatten wir die Situation, sie hat einen Stein im Maul und ich wollte tauschen. Meistens möchte sie nicht tauschen und da ist es die Hochwertigkeit auch egal. Kommt man dann auch mit der Hand nah an das Maul, verteidigt sie dann auch sehr aggressiv und geht vor. Hierzu gibt es viele Meinungen, wie man dann reagieren soll, ich treffe mich heute mit dem Züchter auf dem Platz und hoffe, auf Tipps und Ratschlag.
Such dir bitte eine kompetente Hundetrainerin, nach Möglichkeit eine/n Trainer der nicht mit aversiven Methoden trainiert (dazu gehört auch der Schnauzgriff). Ich weiß, ich habe auch lange gesucht, bis ich einen Trainer gefunden habe, der eine entsprechend gute Ausbildung hatte
 
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Julia 🐾Nero
29. Juni 07:53
Ich finde diese Skala aus dem Vidro richtig gut, das hilft echt beim Einordnen. Zu Guinness ist gestern so eine Staff- oder Bullyhündin hin, am anderen Ende der stereotype aufgeblasene Prolo-Typ mit Jägerneisterfläschchen. Die ist ohne Anzeichen von Aufregung gezielt zu ihm gegangen, obwohl dazu keinerlei Notwendigkeit bestand, hat sich kurz an ihn gedrängt und ist dann auf Angriff gegangen. Davor kein Knurren, kein Abschnappen, sondern zack über seinem Nacken in die Attacke - das zwar noch mit verhaltener Lautkundgebung, aber hätte die keinen Maulkorb gehabt, wär das mit ziemlicher Sicherheit hässlich geworden. Das würd ich als offensiv, destruktiv und operant kategorisieren und der will ich wirklich nicht nochmal nahe kommen.
Ich finde die Kombination operant und destruktiv echt gruselig muss ich sagen.
Klar am Ende ist es für das Opfer egal, wieso es gebissen wird.

Aber eine zielgerichtete, absichtliche Beschädigungsabsicht bei vollem Bewusstsein und Kontrolle (also nicht aus überkochenden Emotionen heraus) ist schon harter Tobak. Ich wüsste nicht wie ich damit als Besitzer umgehen soll.
 
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Julia 🐾Nero
29. Juni 08:00
Ich denke auch eine defensive Agression kann problematisch sein, wenn der Hund ständig Sachen als gefährlich einstuft, die nicht gefährlich sind. zB bei meinem Hund: jemand streckt ihm die Hand entgegen und möchte ihn streicheln. Jemand beugt sich über den Hund und streichelt ihn. Jemand umarmt mich. Ich verstehe wieso das aus Hundesicht bedrohlich wirkt, weil das zwei Sachen davon sind schnelle, frontale Annäherungen und das drüberbeugen ist bedrängen. Der Hund will nur sich selbst oder mich verteidigen, also defensiv, aber trotzdem problematisch.
Die Einstufung als unproblematisch ist dadurch begründet, dass der Hund die Konfrontation nicht sucht und als Reaktion auf eine Aktion reagiert.

Natürlich kann das immer noch wie du sagst zu Verletzungen führen. Aber solange keiner deinen Hund bedrängt und ihm zu nahe kommt, geht dein Hund nicht nach vorne und initiiert Konflikte.
Problematisch und unproblematischen sind vielleicht auch ein bisschen irreführende Begriffe und beschreiben den therapeutischen Zugang zum Hund.
Eine starke Ausprägung an offensiv, emotional und destruktiv bezeichnet er ja als Euthanasie Kandidaten.

Grundsätzlich ist Aggression ja eh nichts schlechtes.
Ein Hund der souverän ist und eine klare Ansage machen kann, handelt ja auch der Situation angemessen aggressiv. Aber im Bereich defensiv, operant und konstruktiv. Das sind die Hunde die wir alle so gerne für unsere Jungspunde als Erziehungshilfe hätten.

Ein Hund der andersrum kein Aggressionsverhalten zeigt, wenn er zum Beispiel bedrängt wird und immer nur flieht oder fiddelt wird schnell zum sogenannten Mobbingopfer.
 
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Julia 🐾Nero
29. Juni 08:03
Ich glaube, Baumanns Aussage „Aggression ist kein Verhalten“ lässt sich am ehesten als eine therapeutisch gemeinte Perspektivverschiebung verstehen – nicht als definitorischer Widerspruch zur Verhaltensbiologie. Es geht ihm, soweit ich das verstehe, nicht darum, dass es keine aggressiven Handlungen gibt oder dass man sie nicht beobachten könnte, sondern darum, Aggression als inneren Zustand vom sichtbaren Verhalten zu trennen. Wenn ein Hund knurrt, schnappt oder angreift, dann ist das sichtbares Verhalten. Aber Baumann richtet den Fokus darauf, was innerlich vorgeht, bevor dieses Verhalten sichtbar wird: Erregung, Kontrollverlust, emotionale Überforderung, bestimmte Emotionssysteme, dysfunktionale Muster. Seine Aggressionsskala ist ja gerade der Versuch, diese innere Dynamik zu systematisieren – operant oder emotional, konstruktiv oder destruktiv, offensiv oder defensiv. In diesem Sinn würde ich sagen, dass Aggression im engeren Sinne für ihn eher ein energetisch-affektiver Zustand ist, der sich dann im Verhalten ausdrückt – aber nicht mit als diesem gleichgesetzt betrachtet wird. Das ist aus einer therapeutisch-systemischen Sicht durchaus sinnvoll, weil man dann nicht an der Oberfläche interveniert, sondern an den Motiven, Mustern und inneren Spannungen. Natürlich steht das in Spannung zur funktional-beobachtenden Sichtweise, in der Aggression eine klar definierte Kategorie beobachtbaren Verhaltens ist. Aber ich sehe das eher als unterschiedliche Zugänge zu einem komplexen Phänomen – nicht als Widerspruch, sondern als Perspektivwechsel, je nachdem, ob man mit einem Hund (und Halter) therapeutisch arbeiten oder Verhalten klassifizieren möchte. Ich denke auch, dass Baumanns Formulierung etwas missverständlich ist. „Aggression ist kein Verhalten“ wirkt ohne Kontext irreführend – auch wenn er inhaltlich vermutlich eben auf die Unterscheidung zwischen innerem Zustand und äußerem Verhalten hinauswill.
Finde deine Interpretation sehr schlüssig!
So macht alles auch Sinn was er sagt.
 
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Dogorama-Mitglied
29. Juni 08:12
Ich finde die Kombination operant und destruktiv echt gruselig muss ich sagen. Klar am Ende ist es für das Opfer egal, wieso es gebissen wird. Aber eine zielgerichtete, absichtliche Beschädigungsabsicht bei vollem Bewusstsein und Kontrolle (also nicht aus überkochenden Emotionen heraus) ist schon harter Tobak. Ich wüsste nicht wie ich damit als Besitzer umgehen soll.
Ja, das fand ich auch creepy und hatte ich so zielgerichtet und kaltschnäuzig auch noch kaum mal erlebt.

Ich konnte entspannt zugucken, weil die eben Maulkorb trug (allerdings nicht in letzter Konsequenz beisssicher, plus Flexi am Halsband und gezerrt wie irre - da war wirklich alles Müll, was nur ging) und deshalb hab ich da so einen schönen Eindruck bekommen.

Als die auf uns zu ging, hab ich sie noch freundlich angesprochen, weil sie für mich keinerlei problematischen Vibe abgegeben hatte.
Dann als sie an Guinness klebte dachte ich "Uh..." und dann ging's eh schon los.
Er konnte dort auch nicht weg, weil er an einer Böschung im Teich stand.

Wobei ich mich jetzt frage...er wirkte danach garnicht verstört, hatte sich meiner Erinnerung nach auch überhaupt nicht gewehrt...seltsam...
Aber dass die Hündin da beissen wollte, da bin ich überzeugt, weil was sonst sollte sie mit schnappendem Maul direkt an einen völlig unprobokanten Hund gepresst sonst wollen...

Der Bezitzer war übrigens unbeeindruckt, sagte nur im Plauderton "Sorry" und zerrte sie an der Flexi zurück ins Wasser.

Vorher hatte er noch gemeint, sie wär "ganz eine Liebe" und ich dann so ja, gaaaanz lieb, die...
 
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SandrA
29. Juni 08:55
Finde deine Interpretation sehr schlüssig! So macht alles auch Sinn was er sagt.
Danke Dir ☺️ Baumanns Perspektive hat mir sehr geholfen, meinen Hund zu verstehen.