Moin Rike,
ich hatte mich hier im Thread auch gegen eine Direktadoption aus dem Ausland ausgesprochen.
Jetzt schreibe ich dir nochmal eine ausführlichere Antwort um dir einen besseren Einblick zu Auslandshunden/ Tierschutzhunden zu gewährleisten. Ich hoffe du kannst aus meinen eigenen Erfahrungen etwas hilfreiches mitnehmen um deine eigene Entscheidung zu fällen.
Ich habe selber meine Hündin Frieda mit 7 Monaten direkt aus dem rumänischen Shelter in meine Wohnung geholt.
Ich möchte in Zukunft auch weiterhin Hunde aus dem Ausland adoptieren.
Doch sind meine Lebensbedingungen und meine Hundeerfahrung gänzlich anders als deine.
Ich bin mit Hunden aufgewachsen, als Teenager habe ich Hunde als tägl. Gassigängerin und im Urlaub betreut.
Meinen ersten eigenen Hund bekam ich mit 16 Jahren. Eine Mopshündin von einer Hobbyzüchterin. Emily war eine großartige Hündin. Einfach zu händeln und generell ein freundliches Naturell. Ein Traum von Hund, abgesehen von den vielen gesundheitlichen Problemen.
Meine zweite Hündin Bella bekam ich mit 20. Sie kam aus schlechter Haltung mit ca. 5 Monaten zu mir. Und zum ersten Mal habe ich erlebt was eine verkorkste Sozialisierungsphase anrichten kann. Ihre ganzen Baustellen kamen erst nach einiger Zeit zum Vorschein.
Sie war zwar kein Angsthund, aber extrem unsicher.
Das Problem bei unsicheren Hunden ist, dass sie sich meist für eine Verhaltensweise entscheiden. Entweder ausweichen/ Flucht oder nach vorne im Angriff.
Bella war leider von der zweiten Sorte und trotz all meiner vorherigen Hundeerfahrung hatte ich das Gefühl, dass ich keine Ahnung habe.
Sie war eine große Herausforderung, die nur mit professioneller Hilfe und viel Kraft ( auch Tränen und Schweiß) zu kontrollieren war. Aber bis zu ihrem Tode war sie kein einfacher Hund, den ich überall hin hätte mitnehmen können oder ohne vorausschauendes Denken Gassi gehen konnte.
Deswegen hatte ich es mir sehr gut überlegt, ob ich einen Hund aus dem Ausland nehmen sollte.
Da die Hunde frühestens mit vier Monaten nach Deutschland kommen können, ist die Sozialisierungsphase zu dem Zeitpunkt abgeschlossen.
Ich wusste ich könnte eine Bella 2.0 bekommen.
Meine Frieda ist auch eine ängstliche und unsichere Hündin, aber eine die zum Rückzug neigt, statt zum Angriff. Das ist meiner Meinung nach zwar angenehmer zu händeln, aber nichts desto trotz stellt es mich wieder vor Situationen und Herausforderungen die ich vorher so noch nicht bewältigen musste.
Sie ist jetzt seit neun Monaten bei mir. Ich lebe auf dem Lande, bin Single ohne Kinder und aus gesundheitlichen Gründen seit einiger Zeit zuhause.
Somit hatte und habe ich viel Zeit zum Trainieren und eine ruhige Umgebung für Frieda.
Und selbst jetzt ist für Frieda noch vieles unheimlich. Dinge die man selbst gar nicht so wahrnimmt können bei ihr wieder Angst auslösen.
Die Liste der gruseligen Sachen war und ist immer noch lang und speziell.
Ein niesender oder hustender Mensch konnte Frieda schon in Panik ausbrechen lassen.
Staubsauger, Föhn und wenn ich in der Dusche bin, sind für sie immer noch stressige Situationen bei denen sich hechelnd im Schlafzimmer versteckt.
Ich sehe es schon als Erfolg, dass ich inzwischen meine elektrische Zahnbürste nutzen kann ohne bei ihr Stress zu verursachen.
Generell geht sie fremden Menschen immer noch aus dem Weg und streicheln lässt sie sich nur von einigen wenigen Auserwählten.
Gerade Kinder, insbesondere unter zehn Jahren, sind für sie immer noch sehr unheimlich. Obwohl ich auch immer wieder positive Begegnungen mit Kindern arrangiere. Solange sie die Kinder kennt ist es inzwischen besser geworden, aber Fremde gehen auch immer noch nicht.
Besonders Geräusche verschiedener Art bringen sie immer wieder aus dem Konzept.
Sei es das Gehämmere bei Umbauarbeiten in einem Nachbarhaus, der Rasenmäher oder das prellende Geräusch eines Balles der auf dem Boden aufkommt alles kann Frieda entweder in ängstlicher Stimmung oder gar wieder in Panikmodus bringen.
Das schwierige daran ist ja das Hunde anders lernen als wir Menschen. Wenn ein Mensch erstmal gelernt hat, dass das Geräusch eines Balles der auf dem Boden aufkommt nicht gefährlich ist, dann kann man diese Erfahrung immer wieder an unterschiedlichen Orten und Situationen hervorrufen.
Das klappt bei Hunden nicht.
Wenn Frieda mit mir bei einer Freundin im Garten ist und die Kinder dort Basketball spielen, dann interessiert sie das inzwischen nicht mehr.
Letztens aber war sie total panisch geworden, da uns beim Spaziergang Jugendliche die einem Ball drippelten entgegen kamen.
Dasselbe Geräusch aber andere Situationen und so fängt man wieder bei Null an.
Ich habe dir diesen Roman ( sorry dafür 😅) jetzt geschrieben, um dir einen besseren Eindruck über Hunde aus zweiter Hand und/oder Ausland zu geben.
Und um dir zu verdeutlichen warum ich von einen Hund aus dem Ausland abrate.
Nicht weil ich dich für unüberlegt, unfähig oder nicht engagiert halte, sondern aus ehrlicher Besorgnis was der "falsche" Hund für dich, deiner Familie und den Hund selbst bedeuten würde.
Immer noch würde ich dir raten, wenn es unbedingt einen Tierschutzhund sein soll einen hier in Deutschland zu wählen und auch da sehr überlegt zu wählen.
Ansonsten würde ich auch zu einem Welpen aus einer guten Zucht raten, der als Anfängerrasse gilt und nicht zu groß wird. Kleinere Hunde sind aufgrund ihrer geringeren Größe und Kraft immer besser zu händeln.
Da man als Anfänger auch meist nicht so weiß was einen guten Züchter ausmacht, würde ich auch hier empfehlen dass ihr euch vorher per Internet oder Lektüren informiert um einen guten Züchter zuerkennen.
Ansonsten wünsche ich euch und euren zukünftigen Hund alles Gute.
Lg