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Christian
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zuletzt 24. Juni

Würde eine Hundin eine Hundeschule führen dürfen?

Würde eine Mutterhündin – also die leibliche Mutter eines Wurfs – nach heutigem Tierschutzrecht (konkret §11 TierSchG) eine Hundeschule betreiben dürfen? Aus meiner Sicht: Nein. Warum? - Korrekturen ohne Vorwarnung: Wenn ein Welpe sich unangemessen verhält, wird er direkt korrigiert – das kann ein Knurren, Anrempeln oder ein kurzes Schnappen sein. -> Im menschlichen Hundetraining würde das evtl. als „aversiv“ oder gar „gewaltsam“ gewertet, obwohl es biologisch, sozial und funktional absolut sinnvoll und angemessen ist. - Grenzen setzen durch körperliche Präsenz oder Blockieren: Die Hündin duldet nicht alles, sondern setzt klare Grenzen – und das auf eine Weise, die dem Hund auch körperlich vermittelt wird. -> In der Theorie des §11-Scheins müsste das oft durch positive Verstärkung ersetzt werden. - Keine Leckerli-Pädagogik: Die Hündin arbeitet nicht mit Belohnungen im klassischen Sinne (wie Leckerli), sondern mit sozialer Bestätigung, Nähe, Schutz oder auch Entzug davon. -> Das entspricht nicht dem gängigen Bild moderner Konditionierungsmethoden. - Kontextuale Strenge: Die Mutterhündin ist nicht „konsequent im Sinne der Lernpsychologie“, sondern situativ. -> Das würde in einer behördlichen Prüfung evtl. als „inkonsistent“ oder „nicht methodisch sauber“ bewertet. Sie trainiert keine „Kommandos“, sondern Lebenskompetenz: -> Wie man mit Frust umgeht. -> Wie man Nähe aushält – oder Distanz akzeptiert. -> Wie man sich sozial einfügt, ohne unterzugehen. All das wäre in vielen Hundeschulen nicht zulässig, weil… … es nicht mit positiver Verstärkung arbeitet. … es keine standardisierte Methode ist. … es im Zweifel als „aversiv“ gilt. Die natürliche Erziehung durch die Hündin ist vielschichtig, klar, sozial differenziert – aber aus unserer Sicht oft „zu direkt“ oder „nicht freundlich genug“. Wenn also einer Mutterhündin die behördliche Erlaubnis verweigern würden, Welpen zu erziehen, muss Erziehung dann immer positiv konditioniert sein? Oder sollten wir mehr auf soziale Interaktion und natürliche Kommunikation zu setzen? Was ist eigentlich wirklich „tierschutzkonform“ – das, was gut aussieht? Oder das, was dem Hund wirklich hilft? Ist das, was eine Hündin tut, wirklich weniger „tierschutzkonform“ als unsere Systeme? Sollten wir also mehr von der Mutterhündin lernen – oder passt das nicht mehr in unsere Welt?
 
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Julia 🐾Nero
19. Juni 20:33
Die "Grimace Scale" wurde zb ursprünglich für Menschen entwickelt und dann auf Tiere übertragen. Die Bindungstheorie von Bowlby und Ainsworth wurde von Kind- Mutter modifiziert um sie auf Mensch Hund Interaktionen zu übertragen usw. Ein anderes Beispiel ist zb Patellaluxation bei Hunden-> da gibt es recht wenig Studien an Hunden, weshalb man im Prinzip (recht erfolgreich) dazu rät denselben Muskel zu trainieren, den man Menschen mit Patellaluxation trainieren lässt.
Zur Grimace Scale werde ich mich mal belesen 👍.
Bei der Bindungstheorie habe ich eigentlich ziemlich gründlich gesucht und keine Übertragung von Verhaltensforschern, Kynologen oder Biologen gefunden.
Das machen einfach Hundetrainer und Blogger, jeder nach seiner eigenen Interpretation.
Oder ich habe es einfach nicht gefunden.
 
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Eva
19. Juni 20:34
Zur Grimace Scale werde ich mich mal belesen 👍. Bei der Bindungstheorie habe ich eigentlich ziemlich gründlich gesucht und keine Übertragung von Verhaltensforschern, Kynologen oder Biologen gefunden. Das machen einfach Hundetrainer und Blogger, jeder nach seiner eigenen Interpretation. Oder ich habe es einfach nicht gefunden.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9770312/
Schau mal hier

Topál J, Miklósi A, Csányi V, Dóka A. Attachment behavior in dogs (Canis familiaris): a new application of Ainsworth's (1969) Strange Situation Test. J Comp Psychol. 1998 Sep;112(3):219-29. doi: 10.1037/0735-7036.112.3.219. PMID: 9770312.
 
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SandrA
19. Juni 21:04
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9770312/ Schau mal hier Topál J, Miklósi A, Csányi V, Dóka A. Attachment behavior in dogs (Canis familiaris): a new application of Ainsworth's (1969) Strange Situation Test. J Comp Psychol. 1998 Sep;112(3):219-29. doi: 10.1037/0735-7036.112.3.219. PMID: 9770312.
Die Studie von Topál et al. (1998), in der Ainsworths „Strange Situation Test“ aus der Bindungsforschung auf Hunde übertragen wurde, ist ein gutes Beispiel für differenzierte interspezifische Adaption. Sie zeigt funktionale Ähnlichkeiten im Bindungsverhalten – etwa Trennungsstress, Näheverhalten und sichere Basis – ohne jedoch Identität der Prozesse zu behaupten.

Von daher bin ich bei Julia: Der Vergleich zwischen Hunden und menschlichen Kindern ist nur eingeschränkt sinnvoll – insbesondere angesichts kognitiver, sozialer und entwicklungspsychologischer Unterschiede, auch wenn sich im Bindungs- und Sozialverhalten gewisse Parallelen zeigen. Diese Kritik greift eine zentrale Forderung der modernen kynologischen Forschung auf: Hündisches Verhalten sollte nicht über Analogie, sondern im arteigenen Kontext verstanden werden. Fachleute wie
Feddersen-Petersen und Gansloßer betonen, dass entwicklungspsychologische Konzepte aus der Humanpädagogik – etwa Bindungstheorien oder Erziehungsmodelle – nicht unreflektiert auf Hunde übertragen werden sollten. Gemeint ist keine grundsätzliche Ablehnung, sondern eine kontextbezogene Übersetzungsleistung – ohne anthropomorphe Überformung.

Dass es zur menschlichen Entwicklung deutlich mehr Forschung gibt als zur ontogenetischen Entwicklung des Hundes, ist unstrittig. Doch gerade deshalb ist bei interspezifischen Übertragungen besondere Sorgfalt gefragt: Die größere Datenlage macht ein Modell nicht automatisch anschlussfähig. Vielmehr braucht es eine differenzierte Einordnung – was sich übertragen lässt, was angepasst werden muss, und wo artenspezifische Dynamiken eigenständig betrachtet werden sollten.

Vor diesem Hintergrund wächst das Interesse an Perspektiven, die hündisches Verhalten nicht primär als mechanisch konditionierbare Reaktion, sondern als Ausdruck sozialer Interaktion und emotionaler Abstimmung begreifen. Die sogenannte regulatorische Perspektive – die ich persönlich als bereichernd empfinde – versteht das Mensch-Hund-Miteinander als dynamischen Prozess wechselseitiger Ko-Regulation mit Fokus auf Ansprechbarkeit, Impulskontrolle und Beziehungsgestaltung. Sie ersetzt lerntheoretische Prinzipien nicht, sondern ergänzt sie – insbesondere in emotional herausfordernden Kontexten.

Die empirische Fundierung dieses Ansatzes ist bislang begrenzt, doch es gibt erste Anknüpfungspunkte an neurobiologische Modelle emotionalen Lernens (z. B. Panksepp) sowie an Konzepte aus Emotions- und Bindungsforschung – allerdings ohne diese unkritisch zu übernehmen. Im Zentrum steht kein exklusiver Wahrheitsanspruch, sondern der Versuch, hündisches Verhalten in seiner sozialen und emotionalen Komplexität ernst zu nehmen.

Und zum Ausgangspunkt zurück: Vielleicht sollte keine Hündin die Hundeschule leiten – aber wir könnten sehr wohl mehr von ihr und ihresgleichen lernen, wie Lernen bei Hunden tatsächlich funktioniert.
 
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Julia 🐾Nero
19. Juni 21:30
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9770312/ Schau mal hier Topál J, Miklósi A, Csányi V, Dóka A. Attachment behavior in dogs (Canis familiaris): a new application of Ainsworth's (1969) Strange Situation Test. J Comp Psychol. 1998 Sep;112(3):219-29. doi: 10.1037/0735-7036.112.3.219. PMID: 9770312.
Ok danke, ich kann den Volltext noch nicht finden, aber ich habe jetzt gute Anhaltspunkte.

Die Anwendung des SST ist sowohl im menschlichen Kontext und erst recht bei Hunden zwar umstritten und kontrovers, aber du hast Recht, er wurde wissenschaftlich angewandt.

Hier zum Beispiel eine Studie, die auf die Schwäche des SST nach Bowlby bei Hunden aufmerksam macht.
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3577677/
 
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Dogorama-Mitglied
19. Juni 21:36
Das hast du wundervoll geschrieben. Das Mindset macht den Unterscheid: Was will ich? Perfekte Ausführung oder Erziehung? Zeigen das jemand etwas noch nicht kann und ich toller bin oder Motivation und Lernbereitschaft unterstützen. Gemeinsam etwas machen (kochen) und dann stolz darauf sein dazu beigetragen zu haben das die ganze Familie was zu essen hat oder perfekt geschnittene Zwiebeln? Zeigen das ich die Lösungen kenne oder gemeinsam die lösibg erarbeiten, und damit Lösungsfähigkeiten und das schöne Gefühl etwas (gemeinsam) geschafft zuhaben vermitteln?
Da spielst du jetzt wieder in extrem tendenziöser Weise den Erwerb technischer Fertigkeiten gegen ein Gemeinschaftserlebnis aus - zwei Dinge, die jenseits deiner Darstellungsweise keinerlei sich ausschließenden Gegensatz darstellen.
 
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Eva
19. Juni 21:38
Ok danke, ich kann den Volltext noch nicht finden, aber ich habe jetzt gute Anhaltspunkte. Die Anwendung des SST ist sowohl im menschlichen Kontext und erst recht bei Hunden zwar umstritten und kontrovers, aber du hast Recht, er wurde wissenschaftlich angewandt. Hier zum Beispiel eine Studie, die auf die Schwäche des SST nach Bowlby bei Hunden aufmerksam macht. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3577677/
Ich wollte es jetzt auch nicht an einem Beispiel festmachen. Mir ging es darum, weshalb der Vergleich zum Menschen überhaupt sinnvoll sein kann. Bei Hunden fehlen uns Daten und Studien. Dass das ganze natürlich seine Grenzen hat und nicht eins zu eins übertragen werden darf ist soweit denke ich jedem klar.
Es gibt Forschung zum Hund, aber weitaus mehr zum Menschen.
 
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Dogorama-Mitglied
19. Juni 21:44
Nachdem ich mehrmals die zeitliche Brücke über Marker und Klicker angesprochen habe, musst du mich diesbezüglich aufklären? Und der Klick oder das Markerwort muss unverzüglich gesetzt werden, sonst funktioniert es nicht. Dahingehend haben Hunde kein Verständnis und kein Konzept für rückwirkende Konsequenzen, weder positive noch negative.
Und dieser Unterschied bedeutet jetzt was?

Dass es nicht legitim ist, die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zu beleuchten?
 
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Julia 🐾Nero
19. Juni 21:47
Ich wollte es jetzt auch nicht an einem Beispiel festmachen. Mir ging es darum, weshalb der Vergleich zum Menschen überhaupt sinnvoll sein kann. Bei Hunden fehlen uns Daten und Studien. Dass das ganze natürlich seine Grenzen hat und nicht eins zu eins übertragen werden darf ist soweit denke ich jedem klar. Es gibt Forschung zum Hund, aber weitaus mehr zum Menschen.
Letztendlich muss ich dir zustimmen.
Grundsätzlich trägt eine Übertragung von menschlichen Konzepten auf Hunde dazu bei, oder man kann sagen, war sogar ursächlich dafür, dass wir Hunde als fühlende, soziale Lebewesen sehen. Gerade auch was Angst und Schmerzen angeht ist dadurch eine Sensibilisierung definitiv gefördert worden.
Daher hast du mich in dieser Hinsicht überzeugt.
 
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Eva
19. Juni 21:52
Letztendlich muss ich dir zustimmen. Grundsätzlich trägt eine Übertragung von menschlichen Konzepten auf Hunde dazu bei, oder man kann sagen, war sogar ursächlich dafür, dass wir Hunde als fühlende, soziale Lebewesen sehen. Gerade auch was Angst und Schmerzen angeht ist dadurch eine Sensibilisierung definitiv gefördert worden. Daher hast du mich in dieser Hinsicht überzeugt.
Deine Abneigung gegen den Vergleich zwischen Kind und Hund in Internetforen kann ich schon auch gut nachvollziehen. Damit kommen wir zwar völlig Thema ab, aber in ner österreichischen Zeitung kam letztens ein Interview, wo der Wirt meinte, er hat lieber Hunde als Kinder im Restaurant. Bei solchen Aussagen könnte mir auch der Kragen platzen... und das obwohl ich keine Mutter bin.
 
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Dogorama-Mitglied
19. Juni 22:12
Der ständige Vergleich mit dem Mensch ist doch komplett anthropozentrisch. Das stellt den Mensch auf ein Podest. Es gibt Forschung zu Hunden. Es gibt Forschung zu Wölfen. Sind wir so blöd, dass wir den Hund nicht begreifen können, ohne ihn mit einem Menschen zu vergleichen? Du hast selber den Vergleich mit anderen Caniden abgelehnt, weil wir Otto-Normal Hundehalter damit keine Erfahrung haben. Anthropozentrischer geht es wohl kaum. Alles wird am Mensch bemessen und verglichen.
Ein Vergleich mit "Mensch" ist weit entfernt von "Mensch besser".
Er kann zB lauten "Mensch hat ein schlechter ausgebildetes Geruchsorgan als Hund".
Seh ich jetzt kein "Podest".

Ich hab den Vergleich mit anderen Caniden absolut nicht abgelehnt, ich hab nur gesagt, dass es wenige Leute gibt, die genug Erfahrung mit anderen Caniden haben, um sinnvolle Vergleiche vorzuschlagen.

Und aus der eigenen Erfahrungswelt heraus zu vergleichen anstatt aus einer, von der man herzlich wenig weiss, find ich nur naheliegend.