Hilfe mein Hund wird draußen zunehmend aggressiver mit Menschen
Hallo liebe Menschen,
wir haben seit drei Monaten einen zweijährigen Rüden bei uns (Retriever-Setter), der aus so halb guten Verhältnissen kommt (hatte als Welpe wenig Ruhe, Familie hatte wenig Zeit für ihn, kaum ausgelastet, am Ende über Monate Spaziergänge fast nur mit Halti, da sie überfordert waren). Seine Herkunftsfamilie wohnt auf einem Dorf. Er ist bei seiner Mutter geblieben als einziger von acht Welpen und hat sich von ihr wahrscheinlich auch die Leinenpöbelei abgeguckt 1, 5 Jahre lang... Nun lebt er in der Stadt, aber sehr nah an der Elbe mit viel Auslauf-Möglichkeiten.
Wir haben ihn vorher gut kennengelernt und uns das sehr genau überlegt. Wussten auch ungefähr, was auf uns zukommt und dennoch brauche ich jetzt Tipps, Zuspruch und Schwarmintelligenz.
Mit Nicki ist es von Beginn zuhause und drinnen sehr schön und entspannt. Er hört auf alles, was man sagt und zeigt. Geht auf die Decke, wenn´s klingelt (und bleibt dort), macht Sitz und Platz, kommt nur aufs Sofa nach Aufforderung, wartet bis man ihm das Futter freigibt, schläft und chillt viel, ist aber auch bereit Tricks zu lernen oder Suchspiele zu machen. Also drinnen einfach alles cool. Mehr als wir je erwartet hätten.
Allein bleiben klappt noch nicht so gut, aber da fangen wir das Üben jetzt an.
Auto fahren findet er auch nicht super, aber auch das üben wir.
Draußen allerdings zeigen sich seine Unsicherheiten sehr deutlich.
Er zieht an der Leine, auch manchmal sehr impulsiv, wenn er ein Ziel erreichen will und er pöbelt manche Hunde an, zu manchen will er nur unbedingt hin und das Problem ist, dass es sich jetzt so verstärkt mit dem Menschen anpöbeln.
Er ist so reizempfindlich und schon auf dem Weg nach draußen geht seine Rute hoch und die Ohren und je nach Tagesform bleibt mindestens die Rute durchgehend oben, mal wedelnd, mal angespannt, aber halt nie entspannt.
Anfangs haben wir direkt eine Trainerin dazu geholt, die uns auch sehr geholfen hat. Wir haben viel mit positiver Verstärkung gearbeitet, haben einen Clicker aufgebaut (der nur bis zu einem bestimmten Erregungsgrad funktioniert) und versucht, vor allem in reizärmerer Umgebung Leine zu üben usw. Klappte alles ganz gut soweit.
Die Tage waren sehr verschieden, aber es wurde nach und nach besser und immer wieder hatten wir richtig Hoffnung, dass es voran geht.
Dann haben wir einen Bekannten einer Freundin kennengelernt, der 25 Jahre Hundeerfahrung hat (auch als Züchter und Hundeausführer), der uns angeboten hat, das Gehen durch die Stadt zu üben. Er ist eher dafür, den Hund durch die Situationen durchzuführen, so dass er lernt, dass nichts passiert, auch wenn mal Menschen etwas näher an ihm vorbei gehen und er es aushalten lernt, dass er nicht zu anderen Hunden kann an der Leine usw. Wir fanden das ein gutes Konzept und haben unserem Hund diesen nächsten Schritt zugetraut. Zweimal sind wir dann mit ihm zusammen spazieren gegangen und Nicki hat sich ganz gut geschlagen. Natürlich unsicher, dass jemand anderes ihn führte und dann noch ein sehr selbstbewusster Mann, aber er hat das gut gemacht und tatsächlich in der Folge Fortschritte gemacht. War in den Tagen danach immer aufgeregt, aber es hat so gewirkt, dass ich sogar einmal mit ihm durch die belebte Stadt laufen konnte und das Gefühl hatte "wow, mein Hund schaut nach mir, lockere Leine, nur einen Hund kurz angebellt, wir haben einen riesen Schritt gemacht"
Wir müssen nicht mit unserem Hund durch Menschenmassen laufen können, aber ohne totales Spießrutenlaufen durch die Stadt von A nach B zu kommen, wäre schon wichtig.
Dann hat sich Nicki im Freilauf //
wir hatten schon einen Rückruf aufgebaut, der recht sicher funktioniert hat und das war natürlich toll und ermöglichte Suchspiele und Ball suchen/werfen (immer mit Impulskontrolle zu Beginn) und Nicki hatte großen Spaß und war zum ersten Mal "frei" und oft in der Elbe schwimmen und entspannt und schon sehr an uns orientiert; alles super ausbaufähig, aber es ging voran //
eine Scherbe ins Hinterbein gerammt (blöde Menschen auf den Elbwiesen, die nicht aufpassen!!) und wir mussten zum Tierarzt, dort war es natürlich nicht schön, dann musste er Straßenbahn fahren, dann zwei Tage später zur Kontrolle, dann war mein Freund vier Tage allein mit ihm, weil ich nicht in DD sein konnte und er durfte drei Wochen nicht rennen und anfangs nur kurze Spaziergänge.
Und ab da haben wir miteinander total unseren Rhythmus verloren.
Er zog und zieht wieder viel mehr, wir haben Suchspiele an der Leine eingebaut und Fährte legen, aber das war bestimmt auch nicht genug. Er war super gefrustet, dass er nicht mehr frei laufen konnte und fing zunehmend wieder an (mehr als zu Anfang!), Menschen anzubellen, knurren, aggressiv in deren Richtung zu springen, wenn sie zu nah kamen (wir versuchen immer den Abstand zu halten, den er gerade braucht, aber das ist nicht immer möglich) und plötzlich ist alles ätzender als in den ersten zwei Wochen. Für uns, aber bestimmt noch mehr für Nicki, der ständig im Stress und in Habacht ist draußen und so so unsicher wieder.
Mit dem Bekannten (H.) hatten wir in dieser Zeit pausiert; Wunde ist zum Glück verheilt und nun haben wir ihn wieder dazu geholt, weil wir ja dachten, dass es uns hilft und Nicki hilft, wenn jemand so sicher führen kann und ihm vielleicht etwas mehr Orientierung bietet als wir das manchmal können (leider, wir üben!!).
Er hatte die Idee, einen anderen Hund mitzubringen, damit Nicki sich auch an einem gelassenen Hund orientieren kann. Gestern waren wir dann 1,5 Stunden unterwegs mit anderem Hund, beide geführt von H. Nicki war durchgehend unsicher, aufgeregt, ängstlich. Hat fast jeden angebellt (und zwar massiv), der uns entgegenkam und durchgehend gezogen. So extrem habe ich meinen Hund bis dato noch nie erlebt. H. ist der Ansicht, der Hund muss durch die Situationen durch, um zu lernen, aber ich befürchte, das war gestern zu viel und als Nicki dann wieder an der Leine ausrastete, hat H. ihn ziemlich körperlich mit Leinenruck korrigiert (die Situation war auch gefährlich, weil links Straße und rechts eine Menschengruppe, die er angeknurrt und gebellt hat und alles war zu eng); ich wäre halt nie in so eine Situation mit ihm rein, vor allem nicht in dieser Stimmung vom Hund.
Nach dieser Situation war Nicki tatsächlich mal 15 Minuten etwas entspannter, das muss ich zugeben, aber dennoch ist das überhaupt nicht mein Weg. Andererseits ist er manchmal so außer sich, dass ich auch nicht weiter weiß, wenn er gar nicht ansprechbar ist und so kopflos wird.
Unsere vorherige Trainerin hat eher gesagt, man muss ja nicht durch die Stadt gehen können (aber wir wohnen am Rand eines sehr belebten Viertels und auf der anderen Seite arbeite ich, wo ihn ihn theoretisch mit hinnehmen könnte) und H. geht mit ihm durch diese Stresssituationen durch, was aber jetzt irgendwie gekippt ist in meinen Augen.
So. Jetzt haben wir einen Hund, der wieder dolle zieht, der seinen Rückruf fast verlernt hat, der noch viel unsicherer ist als wir, der Menschen gegenüber draußen aggressiv wird und wir sind unsicher und etwas verzweifelt.
Eigentlich wollten wir jetzt zweimal wöchentlich mit H. spazieren gehen, damit Nicki sich an die Stadt gewöhnt und alles wieder besser wird. Andererseits fühlt sich das nach gestern falsch an. Aber ich befürchte, die vorherige Trainerin , die fast ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeitet, wäre jetzt wieder so ein Wechsel. Und noch jemand dritten dazu holen? Unser Hund ist ja eh schon total verunsichert.
H. hat schon eine besondere Wirkung auf den Hund gehabt die ersten Male und vieles so gut gemacht, dachte ich. Er hält auch nicht viel von Leckerli und Clicker usw. sondern sagt, der Hund muss denken dürfen und können, um kein Verhalten zu überlagern, sondern wirklich zu lernen. Und ich denke, ein bisschen was ist dran.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit zwischen beiden Trainern, aber aktuell habe ich fast Angst, mit meinem Hund rauszugehen.
Maulkorb kennt er und der wird uns in Zukunft in der Stadt Sicherheit geben, aber für mich ist das keine Dauerlösung, weil ich ja weiß und erlebt habe, dass Nicki es auch anders und viel entspannter kann.
Geschnappt hat er noch nie, aber das Bellen und die Leine springen ist gerade schon aggressiver geworden.
Mit uns ist er bisher super cool. Drinnen ist er eh ein Lämmchen. Wir können hier alles mit ihm machen; auch das Verarzten war kein Problem.
Wenn wir Freunde zu Besuch hatten, lag er auch schon zwischen fünf fremden Menschen und findet das super. Kinder sind draußen am "gefährlichsten" für ihn und die findet er auch drinnen nur bedingt gut. Hatten wir erst einmal in der Wohnung, da hat er er bisschen geknurrt und wir haben ihn auf die Decke geschickt, dann war gut.
Kinder haben ihn aber auch 1,5 Jahre lang nicht in Ruhe gelassen und der hat alles stoisch über sich ergehen lassen in der vorherigen Familie.
Was sollen wir tun? Weiter mit H, weil es mal cool war oder auf keinen Fall wegen des Leinenrucks in der Notsituation und dem Stress? Nochmal wen neuen suchen? Habt ihr Tipps, Ideen, Meinungen ? Ich glaube, wir brauchen auch einfach Zuspruch! Ich danke euch schon jetzt fürs Lesen dieses viel zu lang gewordenen Textes...
Viele Grüße
Anna