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Ramona
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Anzahl der Antworten 78
zuletzt 28. Mai

Deprivationssyndrom - wer kennt es noch

Für alle, die das Deprivationssyndrom nicht kennen: Unter dem Deprivationssyndrom versteht man eine Entwicklungsstörung beim Hund, die aufgrund fehlender Reize im prägenden Welpenalter auftritt. Der Hund war in dieser Prägephase keinen bis wenigen entwicklungsnotwendigen Reizen ausgesetzt, wodurch sich das Gehirn nicht optimal entwickeln konnte. Eine ganze Weile wusste ich nicht, was bei Sunny im Köpfchen falsch läuft. Ich wusste nur - sie ist anders Schön fast hypersensibel, ständig unter Stress und für diesen sehr anfällig, mit neuen Situationen total überfordert. "normales" Training nicht möglich, ständige und wirklich ständige Reizüberflutung, bei neuen Reizen nicht mehr abrufbar... Sehr stark auf mich fixiert... Normales Gassi gehen mit anderen nicht möglich... Alles fremde macht ihr enorme Angst Oft bekomme ich zu hören: "da muss sie durch" "sie muss da durch" und ähnliches Dank einer lieben Bekannten und Verhaltenstherapeutin kann ich mittlerweile sagen: NEIN! Das muss Sunny NICHT! Sunny hat das Deprivationssyndrom! Als Welpe in der Tötung, mit 4 Monaten in ein privates Shelter, mit 6 Monaten kam sie zu mir. (Natürlich leidet nicht jeder Hund mit ähnlicher Geschichte unter diesem Syndrom) Das Training mit Sunny benötigt sehr viel Feingefühl und Verständnis für diese Form der Entwicklungsstörung. Man kann nicht einfach mit ihr in Situationen rein gehen, um ihr zu zeigen das nichts passiert. Ganz im Gegenteil: mit einem Entzug aus für sie kritischen Situationen ist ihr viel mehr geholfen. Die Körpersprache das Hundes zu lesen ist enorm wichtig - denn ausschließlich Sunny zeigt mir, wann sie bereit ist einen Schritt vor zu gehen. Es ist ein schwieriger Weg, aber mit Geduld, Zeit und Liebe schafft man es gemeinsam. Allerdings gehört auch die Bereitschaft dazu, Strukturen und Rituale zu erstellen und ein zuhalten - den Tagesablauf mit dem Hund nach dem Hund zu strukturieren. Und nicht nach dem Menschen Wem geht es auch so? Wer hat ebenfalls eine Fellnase mit diesem Syndrom? Würde mich über einen Austausch freuen
 
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Tanja
19. Juni 23:43
Hi, wir haben seit 3 Monaten eine Hündin aus dem Tierschutz. Leider hat auch sie dieses Problem. Wir haben zum Glück noch zwei Hunde , welche ihr das lernen einfacher machen und wir konnten dadurch schon viele Fortschritte verzeichnen. Es bleibt halt trotzdem ein langer Weg und wir wissen, sie wird wohl immer ein toller aber spezieller Hund bleiben.
LG
 
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Claudia
20. Juni 07:09
Tatsächlich habe ich mir bei meiner Hündin auch gedacht, dass sie Entwicklungsverzögert ist, so im Vergleich mit anderen Hunden. Ich kann mir vorstellen, dass Milla auch dieses Syndrom hat. Wenn die Leute mich fragen, wo sie herkommt und ich Rumänien antworte, sagen immer alle, dass sie wohl schlimmes erfahren hat. Das glaube ich aber nicht, ich denke, sie hat nur einfach nicht genug positives gelernt. Ihr fehlt also etwas in der Entwicklung. Sie ist auch sehr reizempfindlich, Gerüche, leise Geräusche (Baustelle und Feuerwerk stört sie so gar nicht)... Außerdem haben wir festgestellt, dass sie jeden Menschen, den wir in unserer Nähe haben wollen, einzeln und mit sehr viel Ruhe und Abstand und Training kennen lernen muss. Klingeln und Besuch geht bei uns gar nicht. Menschen draussen sind ihr alle! suspekt (naja, die mit Hund gehen meist) . Es ist sehr anstrengend. An einigen Tagen bin ich froh, mit ihr zum Auto zu kommen (weil sie alles und jeden anbellt) und 500m bis zum Park zu fahren. An anderen Tagen kann ich einen Miniausflug in die Stadt machen, da ist sie dann sehr auf mich fixiert. Pubertät und Läufigkeit/Scheinmutterschaft machen es uns nicht leichter.
 
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Anja
20. Juni 07:23
Es ist tatsächlich schwierig zwischen einem ängstlichen unsicheren und einem deprivierten Hund zu unterscheiden... Auf jeden Fall von außen.
Als Haley mit 2,5 Jahren zu mir kam, hatte ich noch nie davon gehört. Diese 2,5 Jahre hatte sie im Zwinger auf einem deutschen Tierschutzhof verbracht. Sie ist dort aufgewachsen. 4 Monate verließ sie ihr neu gewonnenes Körbchen nicht, den Raum nicht, daß Haus verlässt sie bis heute selten freiwillig. Drinnen vollständige Apathie, draussen Angst und Panik. Völlig überfordert von sämtlichen Aussenreizen. Vom Wind in den Blättern, von Menschen, von anderen Hunden, von Dingen die wir gar nicht wahrnehmen. Bei Deprivierten Hunden geht es nicht nur um Angst. Sie sind eingeschränkt darin Beziehung und Bindung aufzubauen, auch zu ihrem Halter... Zu lernen, Erfahrungen zu sammeln, oft sind die Sinne nicht richtig ausgeprägt. Explorationsverhalten gleich null. Haley interessierte sich für gar nichts. Sie schnüffelte nicht, sie interessierte sich nicht für Futter oder Leckerchen oder gar Spielzeug. Auch nicht für Artgenossen. Sie machte mit Ach und Krach 1x in 24 Stunden Pipi und wirkte ansonsten wie in sich gefangen. Haley hätte im Haus auch eine Deko Figur sein können. Es fiel gar nicht auf das ein Hund im Haus war. Ich hatte einen Hund, der sich in keiner Form freute oder reagierte wenn ich Nachhause kam, zur Tür kam wenn ich ihn rief um mir nach draussen zu folgen. Haley lag oder saß irgendwo in der Ecke mit ihrem Trauerkloßgesicht oder einem Verhalten, als sei sie in Erwartung gleich verprügelt und misshandelt zu werden. Wenn wir sie irgendwohin Mitnahmen, saß sie teils Stunden In einer Ecke ohne sich zu bewegen. Ich trug 25 Kilo raus 4x am Tag... Normale Spaziergänge waren lange gar nicht möglich... Bestimmt 1 Jahr. Die Blicke und Kommentare der Außenwelt werde ich nie vergessen. Außenstehende wissen nicht was da passiert, wenn 25 Kilo zitternd, flach wie eine Flunder auf dem Boden liegen, weil ein Kind gegen einen Ball tritt. Oder ein Blatt vom Baum fällt. Haley schien vor Allem Angst zu haben und war gar nicht mehr ansprechbar.
Ich war oft verzweifelt, habe viel geweint, weil es mir weh tat diesen ausnahmslos liebevollen und liebenswerten Hund zu sehen, der mit dem ganzen Leben überfordert schien.
Ich nannte sie irgendwann liebevoll meinen "Autisten- Hund" und der Außenwelt voller "netter" Kommentare teilte ich mit, daß ich sie nur Dienstags und Donnerstags schlage 😜
Sie schreit nicht gerade "Ich bin ein normaler Hund".
Mitleid hilft ihr nicht, "da muss sie durch" hilft ihr nicht nur nicht... Sondern schadet ihr zusätzlich. Ich musste also lernen damit umzugehen. In nunmehr 2 Jahren hat sich viel getan, trotzdem wird Haley vielleicht niemals ein normales Hunde leben führen können. Die meisten Trainings oder Angstbewältigungs Ansätze greifen bei solch einem Hund nicht. Denn er hat nicht gelernt zu "lernen", er verarbeitet Erfahrungen nicht. Die dazu notwendigen Verbindungen im Gehirn haben sich nie gebildet. Ein deprivierter Hund ist kein Angsthund. Er ist tatsächlich gewissermaßen geistig behindert. Es ist schwer zu erklären.

Man muss Vieles in Kauf nehmen, sein Leben fast vollständig nach dem Hund ausrichten, Rücksicht nehmen, Nerven aus Drahtseil haben... Wenn man etwas erreichen will. Verloren sind diese Hunde in meinen Augen aber nicht. Denn mir wurde sogar zum einschläfern geraten, von einer Hunde schule.
Ich kaufte ihr stattdessen einen Aufnäher mit den Worten "Mama says I'm Special" und dann marschierten wir los. Es ist mir egal was andere Menschen denken oder tuscheln oder hinter meinem Rücken reden, weil mein Hund nicht ist wie Andere. Wenn ich heute wieder einmal meine 25 Kilo aus einer Situation tragen muss, weil absolut nichts mehr geht... Dann trage ich sie mit Stolz 😅
Als dieser Hund nach gut 1 Jahr das erste Mal losgerannt ist, und sich wie Bolle über eine Wiese freute, sich wortwörtlich überschlug, herumrollte, ganz simple Lebensfreude zeigte, hätte ich heulen können.
Nach fast 2 Jahren hat sie Lebensqualität und Freude, auch wenn sie immer noch in Vielem eingeschränkt ist. Auch wenn es immer mal Rückschritte gibt oder Tage an denen sie scheinbar alles vergessen hat.
Sie ist wie sie ist. Und für mich ist das ok

Ja, man muss lernen seinen Hund sehr gut lesen zu können. Es gibt ein "Ich finds gruselig, aber ich folge dir durch die Situation" und ein "Warte, ich muss mich sammeln und die Situation einschätzen und bewerten"... Und dann gibt es aber auch ein "Ende jetzt und hier, nichts geht mehr. Keine 10 Pferde bekommen mich da entlang".
Die Entscheidungsphase bis zur Flucht kann ich an Haley wirklich beobachten. Und dann muss ich eingreifen, bevor die Entscheidung gefallen ist.
Hat diese Hündin sich erstmal für die Flucht entschieden, hört die nix mehr, sieht die nix mehr, lässt sich nicht beruhigen und das zieht die durch... Nicht nur bis sie aus der Situation raus ist... Sondern bis sie in ihrem sicheren Zuhause ist.
 
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Marisol
20. Juni 08:28
Ich habe mich letztes Jahr nach dem Einzug von Zeta sehr mit dem Thema beschäftigt. Ob sie jetzt allerdings wirklich das Deprivationssyndrom hat oder nicht weiß ich nicht bzw habe ich nicht vor diesbezüglich jemanden zu kontaktieren um es ggf festzustellen.

Sie wurde mit ihren Geschwistern als kleiner Welpe über den Tierheimzaun geworfen und hat in den ersten 4,5 Monaten ihres Lebens dementsprechend auch sehr wenig kennengelernt. Da sie mit Hunden aufgewachsen ist orientiert sie sich extrem an unserer Ersthündin und will ohne sie auch eigentlich nicht weiter als 100 Meter vom Haus weg.

Als sie einzog hatte sie draußen einfach vor allem Panik und versuchte aus jeglichen Situationen zu fliehen. Drinnen kam sie durch ihren Stresspegel auch anfangs sehr schlecht zur Ruhe. Da wir zwar am Stadtrand und Naturschutzgebiet gewohnt haben aber unten im Haus ein Rewe war konnte man auch eigentlich nicht entspannt mit ihr loslaufen, außer an Sonntagen. Wir waren eh auf der Suche nach einem neuen Zuhause, Zeta hat das vorhaben aber extrem stark angetrieben.

Im neuen Zuhause kam sie dann auch deutlich schneller und besser zur Ruhe und hat draußen auch mehr lernen können. Man merkt aber bei ihr, je weniger Reize von Menschen, desto entspannter ist sie draußen. Es reicht oft ein Kind auf einem Rad und sie ist vollkommen aus dem Konzept und rennt kopflos weiter.

Anfangs hab ich oft die “Schuld” bei mir gesucht, man vergleicht ja dann auch ungewollt mit dem “perfekten” Ersthund. Inzwischen haben wir die Situation aber so angenommen und versuchen step by step neues zu etablieren und nehmen es wie es ist. Von vielen Außenstehenden wird man aber einfach komisch angeschaut weil der Hund auch nach einem Jahr XY noch nicht kann. Mir ist inzwischen einfach wichtig das wir draußen gut klarkommen und sie die wichtigsten Grundkommandos einigermaßen kann. Alles weitere wird dann wohl die Zukunft zeigen
 
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Ramona
20. Juni 08:39
Ich habe auch so eine Hündin. Sie wurde sehr wahrscheinlich auch 13 Monate fast nur im Zwinger gehalten ihre größte Angst sind fremde Menschen. Sie vertraut eigentlich nur meiner Tochter meinem Mann und mir. Wir haben sie mittlerweile 9 Monate. Ich nehme sie überall mit hin es klappt sehr gut und fremde bitte ich immer genügend Abstand zu halten. Was noch ist das sie in manchen nächten durchs Haus und Garten wandert und keine Ruhe findet
Es freut sehr für euch, das eure Maus schon soweit ist. Wir sind noch weit davon entfernt, das Sunny überall mit hin kann. Bei uns geht es wirklich in ganz kleinen Schritten.
Ja, zu Hause bei uns ist es ähnlich. Nachts ist sie recht ruhig geworden, aber nur, wenn wir wirklich über alle ein kleines Licht an haben und mind. eine Geräuschkulisse. In Stille und Dunkelheit ist es für sie kaum zu ertragen.
Darf ich fragen, ob deine Maus einen festen Platz hat, der ihre Safe-Zone/Beruhigungs-Zone ist? Sunny hat hier zwei solcher Plätze, bekommt jetzt noch einen dritten, sonst können wir nachts nicht im Bett schlafen. 😄

Bei uns ist die Unruhe verbunden mit starkem Bellen bei Geräuschen von draußen tagsüber noch sehr vorhanden. Aber langsam wird auch das besser.
 
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Ramona
20. Juni 08:39
Ja, genau.
Supi, dann bestelle ich mir das nachher direkt.
 
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Ramona
20. Juni 08:40
Das Titelbild trifft es schon genau.
Sehr treffend abgebildet. Ja
 
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Simone
20. Juni 08:45
Es freut sehr für euch, das eure Maus schon soweit ist. Wir sind noch weit davon entfernt, das Sunny überall mit hin kann. Bei uns geht es wirklich in ganz kleinen Schritten. Ja, zu Hause bei uns ist es ähnlich. Nachts ist sie recht ruhig geworden, aber nur, wenn wir wirklich über alle ein kleines Licht an haben und mind. eine Geräuschkulisse. In Stille und Dunkelheit ist es für sie kaum zu ertragen. Darf ich fragen, ob deine Maus einen festen Platz hat, der ihre Safe-Zone/Beruhigungs-Zone ist? Sunny hat hier zwei solcher Plätze, bekommt jetzt noch einen dritten, sonst können wir nachts nicht im Bett schlafen. 😄 Bei uns ist die Unruhe verbunden mit starkem Bellen bei Geräuschen von draußen tagsüber noch sehr vorhanden. Aber langsam wird auch das besser.
Ja sie hat sich die Plätze selbst ausgesucht. Ich bin aber ehrlich bei muss sie durch ich gehe null auf das meideverhalten ein. Das soll auch so gemacht werden sie weiß das ich dafür sorge das keine fremden sie anfassen. Das ist eine schäferhündin die wird gearbeitet wie die anderen auch. Wenn man der Meinung ist sie müssen da nicht durch wird das Verhalten bestehen bleiben weil es noch damit verstärkt wird
 
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Ramona
20. Juni 08:54
Ja das kannte ich schon, ist auch nicht gerade selten. Allerdings schwankt der Grad der Ausprägung sehr von Hund zu Hund. Man muss sich auf jeden Hund neu einstellen, je nach Charakter und Erfahrung kann man je nach Situation mal mehr mal weniger mal gar nicht fordernd sein. Alles dauert oftmals sehr viel länger mit solchen Hunden.
Sunny ist mein erste Hund mit diesem Syndrom. Was es nicht unbedingt einfacher macht.
Allerdings habe ich Erfahrung mit Trauma-Hunden. Es ist zwar dennoch ein wirklicher Unterschied, aber so kannte ich bereits das Training auch anders sein kann.
Die größte Herausforderung hat für uns dargestellt, nach Sunny zu planen und zu leben, und nicht umgekehrt.
 
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Matze🐾🐾🐶
20. Juni 08:58
Ich finde es einfach Klasse das ihr euch dieser großen Herausforderung stellt , nach Gründen forscht,
Lösungen sucht und mit ganz viel Geduld und Liebe Stück für Stück Erfolge erlebt😍😍
Ich ziehe meinen Hut 🎩 ❣️❣️
Einfach toll 🥰