Nicht jedes unerwünschte Verhalten ist pubertätsbedingt. In vielen Fällen zeigen sich mit der zunehmenden Unabhängigkeit des Hundes schlicht die bis dahin entstandenen Defizite in der Führung.
Je weniger Führung er bislang erfahren hat, desto mehr Entscheidungen trifft er selbst. Der Welpe, der nicht gelernt hat, ruhig an anderen Hunden vorbeizugehen und Schutz vor diesen zu erfahren, übernimmt zunehmend die Verantwortung für seine Sicherheit selbst.
Wenn die Kommunikation falsch läuft, entscheidet der Hund - unabhängig vom Hormonstatus.
Beispiel Leine: Wenn der Hund bereits in der Leine hängt, ist es zu spät. Dann kann man nur noch korrigieren, und das funktioniert nur sehr mäßig. Vor allem ist es unfair gegenüber dem Hund, den man dafür bestraft, dass man selbst die Verantwortung nicht übernommen hat.
Wichtig ist, den Hund gar nicht in die Situation reinrutschen zu lassen. Noch bevor die erste Reaktion auf den anderen erfolgt, muss positive Kommunikation zwischen Mensch und Hund erfolgen.
Ein positiv gesetztes Aufmerksamkeitssignal, das das Interesse des Hundes mit freudiger Erwartung auf seinen Menschen lenkt, leitet Führung und Kooperation ein.
Der Hund ist bereit, dem zu folgen, was sein Mensch anbietet, in diesen Fall also etwa der Aufforderung vom anderen Hund abgewandt zwischen den Beinen seines Menschen zu sitzen und diesen anzuschauen, bis der andere vorbei ist.
Natürlich kann das nur funktionieren, wenn der Hund längst vorher gelernt hat, welches Verhalten erwünscht ist.
Ihn irgendwie am anderen vorbeizumanövrieren kann nicht funktionieren. Leckerchen ersetzen kein Vertrauen in Führung, weswegen sie meist versagen.
Ein sicher verknüpftes positives Aufmerksamkeitssignal erlaubt auch das Passieren anderer Hunde. Die Belohnung kann dann durchaus Futter sein - aber nach der erfolgreichen Kooperation, nicht als maul- und hirnstopfende Ablenkung, bei der der Hund nichts lernt.
Für meinen Hund ist die Belohnung, dass er, nachdem der andere Hund ausreichend weit weg ist, stehenbleiben und ihm kurz „hinterherschnüffeln“ oder eine Pinkelstelle des anderen untersuchen und bei Bedarf markieren darf.
Dort führe ich ihn explizit hin und gebe die Erlaubnis. Hund schnüffelt, pinkelt drüber oder auch nicht und ist zufrieden.
Diese Bereitschaft zur Kommunikation und Kooperation muss man aber grundgelegt haben. Sie zu erwarten, nachdem der Hund monatelang keine wirkliche Führung erfahren hat, ist unfair.
Führung ist nicht zu verwechseln mit erfolgreicher Ablenkung oder dem Befolgen von Kommandos. Sie bedeutet die Bereitschaft des Hundes, mit seinem Menschen zu kommunizieren, sich auf ihn zu verlassen und die Verantwortung für das Klären von Situationen an ihn abzugeben.
Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät, Führungskompetenz zu erwerben. Man muss nur in einigen Dingen umdenken.
Leider vermitteln Hundeschulen das nicht, auch wenn es in der Regel viel Geschwafel darüber gibt, dass man der „souveräne Führer“ sein muss. Wie das geht, wissen 95 Prozent der Trainer aber selbst nicht. Sie beherrschen im besten Fall Techniken, die aber allesamt nichts damit zu tun haben, zu führen.
Deswegen ist man in dieser Hinsicht meist auf sich selbst angewiesen.