Jörgs Einwurf zur Fütterung im Training ist aus lerntheoretischer Perspektive nachvollziehbar: Wenn Futter ohnehin eine knappe Ressource ist, spricht einiges dafür, es gezielt in gemeinsamen Aktivitäten wie der Objektsuche einzusetzen, anstatt dem Hund beizubringen, dass Futter auch ohne Mensch auffindbar ist. Das ist kein bindungstheoretisches Argument, sondern eine funktionale Überlegung im Kontext von Belohnungsstrategien.
Die darauf folgende Aussage von Joe, Futter habe „nichts mit Bindung zu tun“, wirkt dagegen unnötig pauschal. Bindung ist mehr als Fütterung – aber eben auch nicht davon entkoppelt. Bowlby hat zwar betont, dass Bindung nicht durch Fütterung allein entsteht, aber er schließt Versorgung damit keineswegs aus dem Bindungskontext aus. Vielmehr betont er die Rolle der verlässlichen, responsiven Fürsorge – und dazu gehört auch das Verfügbarmachen von Nahrung, insbesondere in frühen Entwicklungsphasen. Es geht also nicht darum, dass gefüttert wird, sondern wie – ob als verlässliches, vorhersagbares Interaktionsangebot oder als neutraler Vorgang.
Neurobiologisch ist das ebenfalls gut abgesichert: Das sog. CARE-System (Panksepp), das mütterliches Fürsorgeverhalten steuert, umfasst u. a. das Säugen, Wärmen, Lecken – und eben auch das Füttern. Und auch bei Hunden ist das Bild differenzierter, als es die Pauschalaussage vermuten lässt. Studien zeigen, dass Hunde soziale Kontexte – etwa das gemeinsame Arbeiten oder das Erleben von Sicherheit in Anwesenheit vertrauter Personen – klar bevorzugen. Aber sie zeigen auch, dass Futtergabe durch Bezugspersonen sozial anders verarbeitet wird als durch Fremde oder Automaten.
Futter ersetzt keine Bindung. Aber Bindung, die Versorgung völlig ausklammert, bleibt theoretisch sauber und praktisch unbrauchbar. Es ist also weniger die Fütterung an sich, die bindungsrelevant ist, sondern ihr sozialer Rahmen – und der kann, sinnvoll eingesetzt, sehr wohl zur Beziehungsqualität beitragen. Wer das vollständig abkoppeln will, verliert leicht aus dem Blick, dass soziale Bindung nicht nur aus Abstrakta wie „Verlässlichkeit“ besteht, sondern aus konkret erlebbarer, körpernaher Regulation.
Bei Bindung geht es um Sicherheit und emotionale Nähe, nicht um die materielle Befriedigung von Grundbedürfnissen.
In den Rhesusaffen-Versuchen und späteren Beobachtungen wurde deutlich, dass die stoffliche Versorgung mit Nahrung keine erkennbare Relevanz für die Bindungsbildung hat und vielmehr die verlässliche Befriedigung des Nähe- und Schutzbefürfnisses der ausschlaggebende Faktor ist.
Der bindungsrelevante Aspekt am Säugen ist nicht die Substanz "Muttermilch" sondern die körperliche und emotionale Zugewandtheit.
Auch eine Bezugsperson, die garnicht oder nur sporadisch Nahrungsversorger ist, kann dementsprechend eine sichere Bindung (und jede andere Form) zum Schützling etablieren.
Krass gesagt könnte man Kinder oder Hunde auch aus Automaten füttern, wenn die Bezugspersonen ansonsten verlässliche, liebevolle Anlaufstellen für Zuneigung, Nähe, Schutz und Rückhalt im Explorationsbedürfnis sind, hätte das keinerlei nennenswerte Auswirkungen auf die Bindungsqualität.
Wäre dem nicht so, gäbe es zB in Ländern, wo wegen Nahrungsknappheit keine verlässliche "Fütterung" möglich ist, keine Bindung zu Bezugspersonen. Dem ist aber erwiesenermaßen nicht so.
Futter kann in anderen Aspekten der Beziehungsgestaltung relevant sein, das ist dann halt aber nicht die Bindung.
Den Vorwurf der Theoretisiererei finde ich immer eine sehr bescheidene Taktik, um etablierte Beobachtungsergebnisse vom Tisch zuwischen und die eigene Privatinterpretation zu rechtfertigen.
Und im Kontext der Bindung ganz klar definierte Verlässlichkeit als "abstrakt" abzutun, da kann ich mich bei jemandem, den ich in themennahen Fächern verortet hätte, nur wundern...🤔