Ich merke gerade, dass ich die Bindungsmodelle nicht wirklich aus einem kind-spezifischen oder entwicklungspsychologischen Aspekt heraus lese, sondern aus dem allgemeinen Abhängigkeits- bzw Asymetrie-Aspekt.
Also mehr Richtung dysfunktionale Beziehungen, Doppelbindungen, sowas in der Art...
Interessant, dieser selektive Fokus war mir bisher nicht bewusst...
Die Frage mit Guinness und meiner Bindung verstehe ich nicht ganz.
Für jede Beziehung sind doch mindestens zwei Beziehungspartner nötig, das gilt dementsprechend auch für die Beziehungsform "Bindung".
Oder meinst du jetzt wieder die umgangssprachliche Bindung und ob Guinness sich mir näher fühlt als ich mich ihm?
Das fände ich schwer zu beurteilen, weil ich ja nicht in ihn hineinsehe...
Vielleicht kannst du das für mich klären, wie die Frage gemeint ist?
Also ich habe mich gestern Abend und heute morgen noch mal ein bisschen mit der Bindungstheorie beschäftigt und aus meiner Sicht ist die frühkindliche Entwicklung ein fundamentaler und integraler Bestandteil der Theorie, der sich nicht einfach vernachlässigen lässt.
Tests die den Bindungstyp bestimmen finden zwischen 12 und 18 Monaten statt.
Das Schutz-und Sicherheits-Bedürfnis, sowie die extreme Abhängigkeit von der Bezugsperson sind bei einem Baby oder Kleinkind überlebenswichtig und ganz anders ausgeprägt, als in einem adulten Lebewesen, selbst wenn dieses materiell abhängig ist.
Mit bereits 2 Jahren setzt ja auch die sogenannte Bindungslösung ein.
Ein Transfer auf die Hund-Mensch Bindung finde ich daher schwiegig und riskant.
Wenn man es tun würde, dann würde der Welpe eine Bindung zum Muttertier, den Geschwistern und dem Züchter eingehen. Der Bindungstyp, der in den ersten Wochen entsteht würde dann die Beziehung zum ersten Halter und allen andern Lebewesen bestimmen. Wenn der Hund mit 8 bis 12 Wochen zum ersten Besitzer kommt, würde er sich analog bereits in der Phase der Bindungslösung befinden, andernfalls wäre der Verlust der Bezugsperson ja fatal und traumatisierend.
Jetzt darf man auch nicht vergessen, dass Tiere sehr viel schneller Selbstständigkeit und Überlebensfähigkeit erlangen als menschliche Babys.
Ich kann auch keine akkreditierten Belege oder literatische Hinweise darauf finden, dass ein Transfer der Bindungstheorie uneingeschränkt auf die Bindung zwischen Mensch und Hund möglich ist.
Es wird auf privaten Webseiten von Trainern oder Hundebloggern gemacht, die zitieren aber immer nur Bowlby, der explizit die frühkindliche Entwicklung meint, und es gibt nie eine Quelle für den Transfer auf die Hund Mensch Beziehung.
Wenn man "Bindung" im kynologischen und nicht kinderpsychologsichen Kontext recherchiert, dann ist die Defition eben vage und beschreibt ein emotionales Band, das über Abhängigkeit hinaus geht und entspricht eher dem, was Gansloßer oder der Baumann Typ beschreiben.
Ich will jetzt explizit nicht behaupten, dass die Bindungstheorie keinerlei Relevanz für unser Verständnis von Bindung zwischen Hund und Mensch hat. Ich will lediglich drauf hinweisen, dass der Transfer vemutlich uneingeschränkt weder möglich, noch sinnvoll ist.
Die Gefahr der Vermenschlichung und Infantilisierung habe ich ja bereits genannt. Eine Fehlinterpretation der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit und Abhängigkeit eines adulten Hundes ist dadurch auch möglich.
Letztlich kann man noch anmerken, dass die Tests die eine Bindung zwischen Mensch und Hund feststellen nicht zwischen "Bindungstypen" unterscheiden.
Das soll jetzt keine Kritik an dem Seminar sein, das du besucht hast. Eher eine Anregung zur Hinterfragung.
Meine Frage bezüglich, ob nur Guiness eine Bindung zu dir hat oder ob du auch eine Bindung zu ihm hast beantwortet sich durch deine Anwendung der Bindungstheorie, denn da ist Bindung kein gegenseitiges Konzept, sondern geht vom Schutzbedürftigen aus.
Interessant ist aber, dass Bindung im kynologischen Kontext von einer gegenseitigen, emotionalen Verbindung spricht.