Oh, ich glaube jetzt dämmert mir, wo das aktuelle Missverständnis liegt!
Mir war nicht klar, dass du mit "Erfahrungswissen" das Wirrwarr in der Interpretation des Bindungsbegriffes meinst.
Ich sehe das nicht als erfahrungsbasierten Zugang ZUM BINDUNGSBEGRIFF, weil das in meinem Verständnis nicht der Bindungsbegriff sondern eine Missinterpretation desselben ist.
Ich sehe Vieles, was hier "Bindung" genannt wird, als Erfahrungswissen zu anderen Beziehungsaspekten, die nicht das sind, was der Begtiff "Bindung" im Beziehungskontext eigentlich meint.
Ich lehne also nicht per se den Inhalt der Erfahrungen ab, sondern dass dafür eine missverständliche Bezeichnung benutzt wird, die nicht nur generell eigrntlich was Anderes bedeutet, sondern über die es auch auf Ebene der umgangssprachlichen Nutzung keinen echten Konsens gibt.
Jeder meint wiederum ein bisschen was Anderes, hat seine eigene, individualisierte Privatversion des Wortverständnisses - DAS finde ich vage, nicht hilfreich und tw kontraproduktiv, vor allem wenn an den Begriff geknüpft Ratschläge gegeben werden, der Sender damit aber womöglich von was Anderem spricht als der Empfänger.
Mein Problem liegt in der Begriffswahl, die in genau dem genutzten Kontext bereits eine spezifische und relevante Bedeutung hat, in der sie oft aber gerade NICHT gemeint wird und an deren Stelle auch kein spezifischer umgangssprachlicher Bedeutungskonsens tritt, sondern wo man nie weiss, was tatsächlich gemeint ist, wenn der Begriff verwendet wird.
Für mich ist das eine kleine babylonische Sprachverwirrung - völlig egal, wenn man nur lustige Anekdoten austauscht.
Aber beraten tut es sich auf so einer unwuchten Basis sehr schlecht, da kommt es oft und unvemerkt zu einem "knapp daneben ist auch vorbei" oder man trifft mit einem Rat sogar wohin, wo der Beratene es überhaupt nicht brauchen kann, das aber nicht merkt, weil er ihn in einem anderen Kontext versteht.
Zusammenfassung: nicht Erfahrungswissen lehne ich ab, sondern die sprachliche Beliebigkeit und den häufig anzutreffenden Unwillen, sich mit Bedeutungen und dem wechselseitigen Verständnis zu beschäftigen.
(Eine artverwandte Einstellung findet sich dann aber auch tw auf inhaltlichen Ebenen, so ein " 'ich mach mir die Welt' und ob die zur Welt des Anderen passt ist mir egal, weil meine Version der Wirklichkeit trumpft alles")
Danke für die ausführliche Erläuterung – dein Standpunkt ist für mich nachvollziehbar, auch wenn ich ihn nicht teile.
Ich sehe das weniger dramatisch: Solange der Bezugsrahmen mitkommuniziert wird, kann ich mit verschiedenen Perspektiven (und Begriffsverwendungen) gut umgehen – auch wenn sie nicht meinem Verständnis entsprechen. Ich muss Begriffe nicht deckungsgleich verwenden, um ihre Bedeutung im jeweiligen Kontext zu erfassen und gelten zu lassen.
In babylonische Sprachverwirrung gerate ich dabei eher selten.