Jo da hast du grundsätzlich völlig recht, ich finde allerding den alltagssprachlichen Gebrauch von Bindung, der für jeden ein bisschen was Anderes zu bedeuten scheint und oft mit bestenfalls vagen, tw sogar kontraproduktiven Vorstellungen über ihre Erreichbarkeit daher kommt, so wenig hilfreich für den Umgang mit Problemthemen.
Es geht mir wirklich nicht um eine rein akademische Rechthaberei, ich hab die Bindungsarten deshalb erwähnt und vertreten, weil sie imho sehr hilfreich dabei sein können, die Auswirkungen des eigenen Verhaltens nochmal besser zu verstehen, es zu reflektieren und wenn nötig zu adjustieren.
Als ich vor Monaten in dem Seminar das Konzept in Erinnerung gerufen bekam, war es ein regelrechter kleiner Augenöffner und hat mich sehr nachdrücklich gemacht.
Ja, die Theorien können hilfreich sein - keine Frage. Und natürlich brauchen wir wissenschaftliche Auseinandersetzung – sie hilft uns, Muster zu erkennen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und fundierte Handlungsideen zu entwickeln. Aber Wissenschaft ist kein Wahrheitsmonopol.
Sie ergänzt Erfahrung – ersetzt sie aber nicht.
Gerade im Umgang mit Problemthemen und komplexen Verhaltensdynamiken – ich denke da zB sowohl an Julias Beiträge über Nero als auch an mich und meine Hunde – ist der Blick auf die gelebte Beziehungsebene oft relevanter als der Versuch, das Ganze in ein klar umrissenes Modell zu pressen. In beiden Fällen zeigt sich: Beziehung funktioniert oder sie funktioniert nicht – unabhängig davon, ob man den Begriff Bindung im akademischen Sinne sauber definieren kann.
Dass der Begriff im Alltag unterschiedlich gefüllt wird, ist kein Mangel, sondern Ausdruck realer Perspektivenvielfalt. Wie gesagt, solange transparent ist, aus welcher Perspektive man spricht, ist daran nichts „kontraproduktiv“. Wer sich auf Bowlby beruft, darf das gern tun – aber der Begriff Bindung ist damit nicht exklusiv vergeben.
Die klassischen Bindungstheorien sind weder voraussetzungslos zugänglich noch universell anschlussfähig. Manche Menschen reflektieren wirksam über ein Modell, andere über Beobachtungen, Widersprüche oder über das Verhalten ihres Hundes bei Dritten.
Bei Neo war es bspw nicht ein entwicklungspsychologisches Aha-Erlebnis, sondern die nüchterne Feststellung, wie unterschiedlich sein Verhalten ausfällt – abhängig davon, wie klar, regulierend, konsistent und durchlässig ich selbst agiere. Auch das ist Beziehungsanalyse – nur eben nicht mit Lehrbuch, sondern mit Blut und Spucke.
Dass man Theorie nicht braucht, weil man Praxis hat, sagt niemand. Aber wer Praxis ernst nimmt, sollte auch aushalten können, dass nicht alles nach Modell läuft.